Der blinde Passagier
auch ein ganz nettes Paket Verantwortung auf den Buckel. Jedenfalls sollst du nichts riskieren, was gefährlich ist, und du mußt so gesund, wie du hier abgesegelt bist, wieder eintrudeln. Hast du was zum Schreiben in der Nähe? Zuerst mal eine Telefonnummer.“
„42 — 65 — 78“, wiederholte Peter Schimmelpfennig und schrieb dabei die Zahlen auf die Rückseite der grünen Transitkarte, die er sich aus der Tasche geangelt hatte. „Ja, ich schreibe“, sagte er jetzt. „A-V-E-N...“
„I-D-A. Das Wort heißt .Avenida’. Und jetzt kommt: ,Presidente Vargas 212’.“ Dr. Liesegang hatte einen Schnellhefter aufgeschlagen vor sich liegen und diktierte jetzt wieder einen Buchstaben nach dem anderen in den Telefonhörer. „Das ist eine Presseagentur, und sie arbeitet für uns. Dort meldest du dich sofort, wenn du in Rio angekommen bist. Ich setze mich inzwischen mit den Leuten in Verbindung. Sie wissen also Bescheid, wenn du dort aufkreuzt. Du erkundigst dich, ob Nachrichten für dich da sind, und dann läßt du dir eine Telefonverbindung mit mir herstellen. Das ist alles. Laß dich nicht ausquetschen und sag kein Wort mehr, als unbedingt nötig ist.“ Dr. Liesegang wollte einen Zug aus seiner Zigarre nehmen, aber sie war ausgegangen. „Deine Geschichte macht Schlagzeilen, bis du zurückkommst. Das ist genau das, was die Leute mit der Weihnachtsgans im Bauch lesen wollen. Da ist ein Riesenhund begraben, sag’ ich dir. Aber du mußt jetzt spuren wie ein richtiger Reporter. Alles, was dir passiert und auffällt, mußt du notieren. Und laß dich so oft wie nur möglich fotografieren. Zusammen mit Negern oder Elefanten oder meinetwegen mit einer Herde Eskimos. Eben mit lauter Zeugs, was hier nicht jeden Tag auf der Straße herumläuft. Und wichtig ist noch, Schimmelfritze, das ist vielleicht das Wichtigste überhaupt...“ Dr. Liesegang kam mit seinem Mund ganz dicht an die Sprechmuschel des Telefonhörers. „... keine andere Zeitung darf von deiner Geschichte Wind bekommen! Du darfst keinem Menschen etwas erzählen. Wir brauchen dich ,exklusiv’ . Wenn du das Wort ,exklusiv’ noch nie gehört hast, dann laß es dir ganz schnell von irgend jemandem erklären.“ Dr. Liesegang ging jetzt hinter seinem Schreibtisch hin und her wie auf einer Kommandobrücke. „Deine Geschichte ist nur so lange etwas wert, wie wir sie ganz allein haben. Wir können nicht verhindern, daß andere Zeitungen hinterher nachdrucken, was wir gebracht haben. Aber das Neueste muß immer zuerst auf meinem Schreibtisch landen. Hast du verstanden, Schimmelfritze? Zuerst auf meinem Schreibtisch!“
„Ich glaube, ich muß jetzt Schluß machen“, rief Peter Schimmelpfennig. Er sah durch das runde Fenster seiner Zelle, wie sich Steward Eckelkamp bereits von Herrn Schifferli verabschiedete.
„Wenn du in Rio bist, kann ich dir auch sagen, wie du mir deine Berichte und Filme schicken kannst. He — bist du noch dran? Und, wie gesagt, sei auch bei den Leuten von der Presseagentur vorsichtig. Wenn du mit mir telefonierst, mach es so, daß du allein im Zimmer bist. Junge, paß auf wie ein Schießhund! Denk immer daran, daß die Konkurrenz in jeder Regenrinne sitzt und sich nachts unter deinem Bettvorleger verkriecht.“
„Exklusiv“, rief Peter Schimmelpfennig noch. „Ich weiß zwar im Augenblick nicht, was das ist, aber ich verspreche es Ihnen. Meine Mutter soll sich keine Sorgen machen. Auf Wiedersehen, Herr Doktor. Und schönen Dank noch.“
Steward Eckelkamp saß bereits im Wagen und hielt die Tür auf.
„Herr Schifferli, Sie haben mir sehr geholfen“, rief Peter noch, während er die breite Treppe hinunterrannte. „Und auf Wiedersehen, Doudou!“ Zum Händeschütteln blieb leider keine Zeit mehr. Dafür winkten Herr Schifferli und der Negerboy in seiner blauen Jacke noch eine ganze Weile dem grauen Chevrolet nach.
„Und wenn jetzt kontrolliert wird?“ fragte Peter Schimmelpfennig sich selbst und steckte sein Taschentuch wieder ein. Er hatte natürlich zurückgewinkt, bis Herr Schifferli und Doudou ganz klein geworden und hinter einer Kurve verschwunden waren.
„Ich verstehe kein Wort“, sagte Steward Eckelkamp. Aber er war hellhörig geworden.
„Das Visum war doch für uns beide ausgestellt, und das hat jetzt Frau Bergström in ihrer Handtasche.“
„Auch das noch“, stöhnte Steward Eckelkamp, „fehlt nur noch, daß sie auch deinen Paß bei sich hat.“
„Genauso ist es“, schwindelte Peter.
„Bis wir das mit
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