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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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ängstlich in alle die Jungengesichter, die vor ihm standen. Plötzlich fing er zu weinen und zu betteln an. Aber die Front der Jungen kam immer näher. Sie hatten wieder zu lärmen aufgehört, bückten sich jetzt nach dem nassen Sand und warfen mit ihm wie mit Steinen. Etwa zwanzig Meter hinter dem Kerl mit dem zerrissenen Hemd brach sich die Brandung und stand wie eine Wand hinter ihm.
    Peter Schimmelpfennig erinnerte sich noch rechtzeitig an seine Reporterpflicht und machte einige Aufnahmen.
    „Wenn sie ihn bis zu den Wellen treiben“, rief die dicke Dame, die aus Düsseldorf oder Köln war, „wirft ihn die Brandung auf den harten Sand und bricht ihm die Knochen.“
    Auch die übrigen Zuschauer fingen jetzt an, unruhig zu werden. Aber die Horde der zwanzig Jungen zwang den Dieb immer weiter ins Meer hinaus. Sie standen jetzt schon bis zu den Knien im Wasser, und von dem Burschen, den sie immer noch mit hartem Sand bombardierten, war nur noch der Oberkörper zu sehen. Er weinte jetzt noch mehr und schrie um Hilfe.
    In dieser Lage ließen ihn seine Verfolger eine ganze Weile. Dann rief der junge Anführer in seiner gelben Badehose ein paar Worte in die Richtung des bestraften Diebes. Anschließend lachte er schallend und seine Bande mit ihm. Daraufhin sprangen alle, die Badehosen anhatten, mit lautem Gebrüll ins Wasser, tauchten unter und schwammen davon. Die übrigen rannten zum Strand zurück und waren genauso schnell unter den Menschen verschwunden. Dem Jungen im zerrissenen
    Hemd blieb nur der Rückweg durch die Zuschauer übrig. Er legte ihn im Laufschritt zurück und rannte schließlich wie gehetzt davon. Die Zuschauer applaudierten wie nach einem gelungenen Theaterstück, besonders die Brasilianer. Dann ging man wieder unter die Sonnenschirme zurück.
    „Ich finde das großartig“, sagte Jimmy, und gleich hinterher fragte er: „Wann bist du angekommen, und wo hast du deine Sachen?“
    Später lag Peter Schimmelpfennig dann neben den beiden Millers im Sand und in der Sonne. Jimmys Vater hatte wieder seinen weißen Panamahut auf dem Kopf. Seine Augen waren ganz hellblau und seine Haare an manchen Stellen schon weiß. Er war schlank und hatte genau das Gesicht, wie man es von einem Universitätsprofessor erwartet.
    „Unsere Argentinier sind mit uns in der Nacht noch direkt nach Buenos Aires geflogen“, erzählte Jimmy. „Dort haben sie uns umgeladen wie Luftpostpakete und über São Paulo heute vormittag hier abgeliefert.“
    „Immerhin hat uns der Nebel eingebracht“, lächelte der Professor, „daß wir jetzt von Buenos Aires und São Paulo zumindest die Flugplätze kennen.“
    Und dann schrie Jimmy plötzlich auf und drehte sich blitzschnell herum. Er hatte nämlich eine Ladung Wasser auf den heißgebrannten Rücken bekommen. „Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank“, schimpfte er. Gemeint war der Junge mit der gelben Badehose, der plötzlich vor der Sonne stand. Er war am ganzen Körper noch klitschnaß und warf sich neben dem Bürstenhaarschnitt in den Sand.
    Der sagte jetzt: „Das ist Peter, und das ist Sergio.“
    „Freut mich“, sagte Peter Schimmelpfennig.
    „Conochez emi genar“, erwiderte der Anführer der Jungenbande, und das bedeutete wohl das gleiche wie das. was der Junge aus Hamburg gerade gesagt hatte.
    Professor Miller sprach glücklicherweise Spanisch, und dadurch konnte allmählich so etwas wie eine Unterhaltung in Gang kommen. Zuerst sprachen nur der Professor und der kaffeebraune Junge miteinander. Manchmal verstanden sie sich nicht gleich. Dann suchten sie nach anderen Worten, oder der Junge in der gelben Badehose bemühte sich, mit seinen Händen zu erklären, was er meinte.
    „Also das Ganze war natürlich eine Art Selbstjustiz“, erklärte der Professor nach einiger Zeit. „Es gibt hier Burschen, die klauen wie die Raben. Aber er und seine Jungen wollen nicht, daß die Copacabana in einen schlechten Ruf kommt. Bestimmt sind die auch keine Heiligen. Die Touristen übers Ohr hauen, dagegen ist nichts einzuwenden. Aber Fotoapparate oder Uhren klauen geht ihrer Meinung nach über das hinaus, was erlaubt ist. Und den Lärm schlagen sie dabei, damit möglichst viele Leute darauf aufmerksam werden. Man soll sehen, daß es auch Jungen gibt, die besser sind als ihr Ruf.“
    „Very good“, sagte Jimmy Miller, und er hatte zwei ernste Falten über der Nase.
    „Nothing“, murmelte Sergio nur. Er drehte sich auf den Bauch und malte mit dem Zeigefinger Kreise in den

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