Der blinde Passagier
auf dem Foto zuwenig“, beanstandete die Großmutter. „Aber vielleicht paßt mein Gesicht ohne Lächeln besser zu der Geschichte.“
Das Restaurant „Hongkong“ war geschlossen, und Herr Chang schlief bestimmt noch. Frau Schimmelpfennig steckte ihm also ein abendblatf durch die Ritze unter der Tür und marschierte zur Untergrundbahn. Auf dem Flugplatz ging sie zuerst zur Post und schickte ein zweites abendblatt per Eilboten an Onkel Emil nach Frankfurt. Anschließend suchte sie ihr Staubsaugergeschwader. Sie hatte sich ein wenig verspätet, und ihre Kolleginnen waren schon in den Flugzeugen, die gerade angekommen waren, an der Arbeit.
Frau Biermann scheuerte gerade die Tischchen, die in den Rücklehnen der Sitze steckten. „Was war um alles in der Welt mit diesem Chinesen?“ fragte sie sofort.
„Ich hab’ es in die Zeitung setzen lassen“, meinte Frau Schimmelpfennig nur und gab ihr das letzte abendblatt. das sie sich noch eingesteckt hatte. „Da steht alles haargenau drin und besser, als ich es erzählen kann.“
Als Frau Biermann auf dem Foto Peter Schimmelpfennig erkannte, sagte sie zuerst: „Ich werde verrückt“, und als sie zu lesen angefangen hatte, meinte sie noch: „Es ist ja nicht zu fassen.“ Anschließend setzte sie sich in einen Sessel der ersten Klasse, schlug die Beine übereinander und war eine Viertelstunde lang genauso hingerissen wie von einem Kriminalroman.
Dann ging die Zeitung beim ganzen Staubsaugergeschwader von einer Frau zur anderen, und natürlich sprach man anschließend beim Saugen und Fensterputzen nur noch von Peter Schimmelpfennig und darüber, was heutzutage alles möglich war.
Am späten Nachmittag kam ein dunkelblaues Auto und hielt direkt vor der Gangway einer Maschine der SAS. Frau Schimmelpfennig putzte gerade die Spiegel in einem der engen Waschräume. Ein Herr der Flugplatzleitung steckte seinen Kopf durch die Tür. „Sie können für heute Schluß machen“, sagte er freundlich, „der Wagen kommt vom Chef des Abendblattes und soll Sie in die Redaktion bringen.“
Dr. Liesegang empfing Frau Schimmelpfennig in seinem Büro. Er fragte, was er ihr anbieten dürfe, und die Mutter des „blinden Passagiers“ entschied sich für eine Tasse Kaffee.
„Das Telefongespräch nach Rio ist unterwegs“, lächelte der Chefredakteur, „es kann jeden Augenblick dasein.“ Er zog an seiner Zigarre und betrachtete sich die weiße Asche. „Wir haben in der heutigen Ausgabe natürlich mit Absicht die Reise nur bis Dakar gehen lassen. Rio de Janeiro ist die große Überraschung für morgen. Man darf sein Pulver nur so nach und nach verschießen.“ Er blinzelte zu Frau Schimmelpfennig hinüber. Gleichzeitig drückte er auf einen Knopf am Sprechapparat, der vor ihm auf dem Schreibtisch stand. „Sie können der Direktion Bescheid sagen, Fräulein Bertelsmann“, meinte er, und es dauerte gar nicht lange, bis zwei Herren durch die Tür kamen. Der eine von ihnen war ein Rechtsanwalt, und der andere gehörte zur kaufmännischen Abteilung. Sie hatten einen Vertrag vorbereitet, den sie Frau Schimmelpfennig jetzt Wort für Wort vorlasen. „Sind Sie damit einverstanden, wenn wir vorerst einen Betrag von zweitausend Mark einsetzen?“ fragte schließlich der Herr von der kaufmännischen Abteilung. Frau Schimmelpfennig nickte nur. Sie hätte im Augenblick nichts sagen können. Nur als sie unterschrieben hatte, bat sie darum, daß das Geld bei der Zeitung bliebe, bis Peter wieder gesund zurück sei.
„Wie Sie wünschen, gnädige Frau“, sagten die beiden Herren, verbeugten sich ein wenig und nahmen den unterschriebenen Vertrag mit. Das zweite Exemplar wanderte in Frau Schimmelpfennigs Handtasche.
„Die Gespräche nach Rio verzögern sich“, meldete nach einer Weile die Sekretärin, Fräulein Bertelsmann, und leider verging eine halbe Stunde nach der anderen, ohne daß eine Verbindung zustande kam.
Inzwischen hatten sich alle Redakteure zur Besprechung für die nächste Ausgabe um den großen Konferenztisch zusammengesetzt, und Dr. Liesegang wanderte ständig zwischen seinem Büro und dem Konferenzraum hin und her.
Als er wieder einmal zurückkam, strahlte er über das ganze Gesiebt. „Es tut sich was“, lachte er. „Die liebe Konkurrenz schlägt Purzelbäume und zerbricht sich den Kopf, wie sie an unser Material kommen könnte. Ein Auslandskorrespondent hat versucht, unseren Sportredakteur zu bestechen. Er sollte ihm wenigstens ein Foto von Ihrem Jungen besorgen. Das
Weitere Kostenlose Bücher