Der blinde Passagier
Sand.
„Weshalb ziehst du eigentlich deine dämlichen langen Hosen nicht aus?“ fragte der Bürstenhaarschnitt nach einer Weile. „Hast du X-Beine?“
„Keine Badehose“, grinste Peter Schimmelpfennig. „Kommt nach Rio und hat keine Badehose“, wieherte Jimmy. Daraufhin wurde beschlossen, für Peter Schimmelpfennig sofort eine Badehose zu kaufen. Die Sonne stand ohnehin schon ziemlich tief.
Als das erledigt war, verabschiedete sich der Junge namens Sergio, und die Millers gingen mit Peter ins Hotel. Aber das Excelsior hatte kein Zimmer mehr frei. „Zwei Gäste müssen bereits in Badewannen schlafen“, meinte der Empfangschef bedauernd.
„Hoffentlich kommen sie beim Träumen nicht aus Versehen an den Wasserhahn“, meinte Herr Miller lächelnd. Und dann stiegen alle drei in den Lift und fuhren ins sechste Stockwerk.
Der Professor hatte ein Zimmer mit Balkon zum Atlantik und Jimmy einen kleineren Raum daneben mit Durchgangstür.
„Wenn wir es dem Hoteldirektor nicht auf die Nase binden“, schlug Jimmy vor, „kannst du bei mir auf der Couch übernachten, was noch den Vorteil hat, daß es nichts kostet. Das heißt, wenn mein Alter Harr damit einverstanden ist.“ Der Professor hatte nichts dagegen und gab im übrigen zu verstehen, daß er sich jetzt gerne eine Stunde hinlegen würde. „Bis zum Abendessen“, sagte er und zog sich in sein Balkonzimmer zurück.
„Ich bin auch ziemlich müde“, stellte Jimmy fest. „Übrigens wird natürlich ausgelost, wer von uns das Bett bekommt.“
„Jetzt wirst du aber sehr drollig“, widersprach Peter Schimmelpfennig. „Selbstverständlich gehört das Bett dir, und im Augenblick muß ich sowieso noch Schularbeiten machen. Nach Hause schreiben und so weiter.“
Fünf Minuten später lag Jimmy Miller im tiefsten Schlaf, und Peter Schimmelpfennig saß an einem kleinen, runden Tisch, und neben ihm brannte eine Stehlampe. Er schrieb einen langen Brief in die Steinfeldstraße 84, vierter Stock, und dann noch einen, der fünfmal so lang war, an Herrn Dr. Liesegang vom Abendblatt. Als er mit diesen beiden Briefen fertig war, spulte er noch den Film aus seinem Fotoapparat.
Als die Millers wieder auf den Beinen waren, erhob sich die Frage, wie Peter Schimmelpfennig zu seiner Segeltuchtasche kommen könnte, zu Jackett und Wintermantel. Er konnte die Sachen nicht einfach an der Garderobe abholen und damit in den Lift steigen wie ein richtiger Hotelgast.
Da telefonierte der Professor mit dem Portier und verlangte den Pagen, der ihm heute seinen Anzug zur Reinigung gebracht hätte. Dabei grinsten sich die zwei Millers zu, und dann warteten sie. Und als es schließlich klopfte, sagten sie beinahe gleichzeitig: „Come in.“
Jetzt ging die Tür auf, und der Anführer der Jungenbande kam herein. „What can I do for you?“ fragte Sergio in beinahe verständlichem Englisch. An Stelle seiner gelben Badehose trug er jetzt eine schneeweiße Pagenuniform.
Als sich Peter Schimmelpfennig von seinem Staunen erholt hatte, bekam der Hotelboy Sergio den Garderobenschein. Fünf Minuten später kam er mit den Sachen zurück, und anschließend übernahm er es auch noch, Peters Film zusammen mit dem langen Brief zu verpacken und sofort zur Post zu bringen.
„Luft, Eilboten und eingeschrieben“, bat Peter. Es dauerte eine Weile, bis der Professor das übersetzt hatte, denn Spanisch und Brasilianisch sind eben doch zwei Stiefel, die nicht ganz zusammenpassen.
Der Professor ließ sich dann noch von dem Pagen Sergio die Anschrift eines brasilianischen Speiselokals aufschreiben. „Die dritte Straße von der Atlantica rechts. Es heißt Zicartola, und Sie müssen sagen, daß Sie von mir kommen.“ Der Page in seiner schneeweißen Uniform grinste. „Das Lokal gehört meinem Onkel, und ich bekomme für jeden Gast, den ich schicke, Prozente. Aber Sie werden zufrieden sein.“
„Was hat er gesagt?“ wollte Jimmy wissen.
„Nichts Besonderes.“ Der Professor lachte, und dann sagte er: „Gehen wir, meine Herren.“
Das Zicartola lag in einem offenen Hof. Kreuz und quer waren Drähte gespannt, und an ihnen hingen lauter kleine, bunte Glühbirnen. Vier Brasilianer machten Musik.
„Nós estamos contente“, rief der Onkel des Hotelpagen Sergio mit ausgebreiteten Armen und bediente die drei Gäste wie Könige. Auf den Tischen standen zuerst Gläser mit Sellerie, Paprika und Gurken. Das war eben so üblich. Als Hauptgericht gab es eine echte „Feijoada Completa“, das Nationalgericht
Weitere Kostenlose Bücher