Der blinde Passagier
die gleichen Sonnenbrillen, die gleichen Kleider und die gleichen Hüte aus Stoffblumen über den gleichen Frisuren. Sie füllten gerade ihre Meldeformulare aus und redeten dabei so laut durcheinander wie eine Mädchenklasse in der Unterrichtspause.
Peter Schimmelpfennig wartete geduldig vor der Portiersloge. bis er an die Reihe kam.
Durch eine große Glastüre konnte man in die Halle sehen. Dort saßen sehr elegante Leute in tiefen Sesseln und tranken Tee oder sonst irgend etwas. Im Hintergrund Himmelten einige auf hohen Hockern an einer Bar.
Die Kellner trugen trotz der Hitze schwarze Fräcke und die übrigen Angestellten schneeweiße Uniformen. Sie schienen es alle sehr eilig zu haben, als ob sie unbedingt noch schnell ihre Sandwiches oder ihre Whiskys servieren müßten, weil in spätestens zwei Minuten ein Feuer ausbräche und es dann zu spät wäre.
Der Portier sprach fast in allen Sprachen der Welt und machte eine ganze Menge Dinge gleichzeitig. Schließlich schien er auch Hellseher zu sein. Peter Schimmelpfennig hatte nämlich auf englisch gefragt, ob zwei Herren namens Miller — mit „i“ — angekommen seien. Aber der Portier antwortete in gutem Deutsch: „Ja, die Herren Miller sind heute vormittag eingetroffen. Aber im Augenblick sind sie leider nicht zu Hause. Ihr Zimmerschlüssel liegt hier im Fach.“
„Und sie haben nicht hinterlassen, wann sie zurückkommen?“ fragte Peter.
„Sie sind am Strand“, meinte der Portier. „Vielleicht wollen Sie Ihr Gepäck hier deponieren und sich nach ihnen Umsehen?“
„Wenn das möglich wäre?“
Der fixe Portier winkte bereits nach einem Pagen, und kurz darauf stand Peter mit einem Garderobenschein in der Tasche und seinem Fotoapparat vor dem Hotel. Er hatte Segeltuchtasche, Wintermantel und Jackett im Hotel gelassen. Das Geld hatte er zuvor gleichmäßig auf seine Taschen in Hemd und Hose verteilt.
Es war gar nicht so leicht, über die Avenida Atlantica zu kommen. Die Autos fuhren im Gegenverkehr auf vier verschiedenen Spuren. Schließlich machte es Peter Schimmelpfennig wie die übrigen Passanten. Er sprang einfach von Lücke zu Lücke, bis er auf der anderen Seite der Straße und damit am Strand war. Er zog seine Schuhe und Strümpfe aus und sah sich um.
„Unter diesen vielen Menschen den Bürstenhaarschnitt zu finden, dürfte ziemlich aussichtslos sein“, dachte Peter Schimmelpfennig. Aber er nahm seine Schuhe in die Hand und wanderte los. Er kletterte über nackte Beine, tauchte unter Sonnenschirmen durch und balancierte wie ein Seiltänzer an den ausgebreiteten Handtüchern vorbei.
Nach zehn Minuten fing er schon wieder an zu schwitzen. Er hatte jetzt auch endgültig begriffen, daß er in diesem Durcheinander von halbnackten Menschen Jimmy Miller unmöglich finden würde. Genausogut könnte er in einem Fußballstadion nach einer Nähnadel suchen oder nach einer einzelnen Kaffeebohne. Er zog sich also sein Hemd aus und legte sich mit der langen blauen Hose seines Sonntagsanzugs in den Sand. Eine ganze Weile lag er so da. Er hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen. Um ihn herum redete und schrie es in allen möglichen Sprachen, und vom Meer her war die Brandung zu hören. Wenn er sich die Geräusche wegdachte, hätte er genausogut in einem Freibad zu Hause oder irgendwo an der Nordsee liegen können.
Ob Frau Schimmelpfennig zusammen mit der Großmutter gerade beim Kaffee saß oder schon beim Abendessen? Der kleine Ulli Wagner war jetzt mit seinen Eltern zum Skifahren im Walsertal. Und was machte wohl der Sheriff in diesem Augenblick oder Studienrat Semmelroth? Wo steckten Frau Bergström, Kapitän Roland und der flachsblonde Eckelkamp?
Peter Schimmelpfennig richtete sich wieder auf, zog die Beine an und guckte in die Brandung. Die Wellen mußten drei oder vier Meter hoch sein.
„Da sitzt man nun zwischen Tausenden von Menschen“, dachte Peter Schimmelpfennig, „und ist doch mutterseelenallein.“
Ein langer Neger kam vorbei. Er trug einen Korb mit Kokosnüssen auf dem Kopf und hatte ein großes Messer in der Hand. Damit köpfte er die Kokosnüsse wie hartgekochte Eier. Dann konnte man die Milch trinken und das weiße Fleisch essen. Andere Händler verkauften Eis, Zigaretten und Ananasfrüchte. Einige hatten sich große, runde Fässer aus Blech umgehängt und boten eisgekühlten Mate-Tee an. Für Kinder gab es Luftballons oder Drachen, die wie Vögel aussahen.
Menschen aller nur denkbaren Hautfarben
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