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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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badeten hier und lagen durcheinander, spielten am Strand — dort, wo der Sand hart war — Fußball oder Strand-Tennis mit großen Holzschlägern. Und weil das Baden bei hohem Wellengang nicht ungefährlich war. kamen immer wieder Männer mit weißen enganliegenden Trikots vorbei. Sie gehörten zum Rettungsdienst und sahen alle aus wie junge Zehnkämpfer oder Rekordschwimmer.
    Später legte sich Peter Schimmelpfennig auf den Bauch und fing an, seine Berichte für Dr. Liesegang zu entwerfen. Er hatte noch genügend Lufthansa-Schreibpapier bei sich und auch seinen Drehbleistift eingesteckt. Zwischendurch machte er Fotos, wenn gerade einmal ein Neger vorbeikam, der Sonnenbrillen verkaufen wollte, oder wenn ein Brasilianer auf einer Gitarre spielte, dazu sang und anschließend bei den Touristen Geld kassierte.
    Und dann war plötzlich die Hölle los.
    Mitten durch die Menschen, die in der Sonne lagen, kam von der Straße her eine Gruppe von etwa zwanzig Jungen. Alle waren zwischen zwölf und fünfzehn Jahre alt. Sie vollführten einen Heidenspektakel, schrien und brüllten durcheinander. Einige schlugen leere Konservenbüchsen aufeinander oder pfiffen durch die Finger. Ein paar Schuhputzerjungen trommelten auf ihre Holzkisten, die sie umgehängt hatten. Dabei schoben und stießen sie einen schwarzhaarigen Jungen vor sich her, der nur ein zerrissenes Hemd anhatte und eine kurze blaue Hose. Er versuchte immer wieder einmal auszubrechen, aber die Meute, die um ihn herum war, stellte ihm dann sofort ihre Beine in den Weg und zog ihn wieder zurück.
    Mitten zwischen diesen schimpfenden und schreienden Jungenköpfen entdeckte Peter Schimmelpfennig plötzlich den kurzen Bürstenhaarschnitt von Jimmy Miller.
    Die Bande der lärmenden Burschen war immer näher gekommen. Kaum zehn Meter entfernt blieben sie jetzt stehen.
    Peter Schimmelpfennig sprang auf und ging die paar Schritte zu ihnen hinüber. „Hi, Mister Miller“, rief er durch den Lärm.
    Aber der Bürstenhaarschnitt winkte nur zurück. Er zeigte sich gar nicht erstaunt, plötzlich neben sich den Jungen zu sehen, der ihm in Dakar Weihnachtsgebäck angeboten hatte. Im Augenblick schien ihn nur das zu interessieren, was um ihn herum vorging.
    Die Gruppe der Jungen war jetzt bei einem zinnoberroten Sonnenschirm angekommen. Unter diesem Sonnenschirm saß ein dicker Herr neben einer genauso dicken Dame. Beide schauten erstaunt und beinahe ängstlich in die Gesichter der Jungen, die jetzt lärmend um sie herumstanden. Aber da warf jetzt einer von ihnen seinen nackten, kaffeebraunen Arm hoch, und der Krach war abgeschnitten wie bei einem Orchester, wenn der Dirigent die Probe abbricht.
    Der junge Anführer in seiner gelben Badehose fing an zu sprechen. Das dicke Ehepaar unter dem Sonnenschirm hörte aufmerksam zu, verstand aber vermutlich kein Wort. Das hätte den kaffeebraunen Jungen in seiner gelben Badehose auch gar nicht gestört. Er sagte zu Ende, was er sich vorgenommen hatte, und dann gab er dem Burschen in dem zerrissenen Hemd einen so kräftigen Stoß, daß er vor dem Ehepaar geradezu auf die Knie fiel. Der junge Anführer rief ihm noch ein paar Worte zu, und die übrigen brüllten mit.
    Da holte der Junge, der jetzt so halb im Sand lag, eine goldene Armbanduhr aus seiner Tasche. Beinahe im gleichen Augenblick griff der dicke Tourist auch schon zu, und seine Frau rief in einem Dialekt, der in Düsseldorf oder Köln zu Hause sein mußte: „Ja, ist denn das möglich? Deine Uhr, Eduard!“
    Der dicke Rheinländer angelte nach seinem Bademantel und seiner Brieftasche. Dabei stand er auf und ging auf den Anführer der Bande zu. Aber der kaffeebraune Junge in seiner gelben Badehose lächelte nur und winkte. Das Geld, das ihm der Tourist in die Hand drückte, nahm er allerdings. Inzwischen hatte die Bande den Jungen mit dem zerrissenen Hemd bereits wieder vom Boden hochgehoben. Sie stießen und boxten ihn jetzt zum Meer hinunter. Immer mehr Menschen versammelten sich und schauten zu.
    „Der Junge in der gelben Badehose ist Sergio“, bemerkte Jimmy Miller, „und der andere in dem zerrissenen Hemd hatte eine Uhr geklaut. Aber das hast du wohl begriffen?“
    „Es war nicht besonders schwer zu begreifen“, grinste Peter.
    Die Meute lärmte wieder und ging direkt auf das Meer zu. Den Jungen mit dem zerrissenen Hemd trieben sie vor sich her. Er war jetzt schon bis zu den Knöcheln im Wasser. Offensichtlich wußte er, was ihm bevorstand. Er hatte sich umgedreht und blickte

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