Der blinde Passagier
nackten Füße guckten ins Zimmer.
Der Professor saß mit seinem Sohn schon eine ganze Weile nebenan auf dem Balkon beim Frühstück. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, und der Strand war voll von Menschen. Jimmy machte wieder einmal vorsichtig die Türe auf, um nachzusehen. Aber Peter Schimmelpfennig rührte sich überhaupt nicht. Vermutlich hätte man eine Kanone neben ihm abschießen können, ohne daß er aufgewacht wäre.
„Something is fishy“, sagte der Professor und schüttelte den Kopf.
„Something is fishy about him .“ Genausogut hätte er sagen können: „Irgend etwas mit diesem Jungen stimmt nicht.“ Jimmy schrieb auf ein Stück Papier: „Wir sind an der gleichen Stelle am Strand.“ Darunter malte er zwei Männchen, die unter einer kreisrunden Sonne lagen. Diese Nachricht legte er neben dem schlafenden Peter Schimmelpfennig auf den Boden. Dann hängten die beiden Millers die kleinen Schilder mit dem Aufdruck NE PAS DERANGER — NICHT STÖREN — DO NOT DISTURB! von außen an ihre Zimmertür. Jetzt wußten die Kellner und Stubenmädchen, daß sie nicht erwünscht waren.
Am Strand setzte sich der Professor unter seinen Sonnenschirm, und Jimmy trabte ins Meer. Als er klatschnaß zurückkam, las sein Vater in der neuesten daily mail, die er gerade von einem Zeitungsjungen gekauft hatte. Jimmy warf sich in den Sand und ließ sich von der Sonne trocknen.
„Something is fishy“, sagte der Professor nach einer Weile wieder und blätterte dabei in seiner Zeitung. „Ich habe mir natürlich schon gestern meine Gedanken gemacht, wie es dazu kommt, daß ein vierzehnjähriger Junge so ganz allein durch die Welt segelt.“
„Das hatte ich mir eigentlich noch gar nicht überlegt“, gab Jimmy zu. Er zog die Beine an und richtete sich auf. „Wir wissen ja überhaupt nichts von ihm. Vielleicht räumt er uns gerade jetzt in aller Ruhe die Koffer aus, während wir hier in der Sonne liegen.“
„Das ist nicht zu befürchten“, meinte der Professor. „Soweit verlasse ich mich auf meine Menschenkenntnis, obgleich ich weiß, wie leicht man sich da täuschen kann. Aber wir müssen ihn zur Rede stellen. Ich hatte gehofft, er spräche von selbst. So lange wollte ich warten.“ Mister Miller hatte einen Artikel entdeckt, der ihn anscheinend sehr interessierte. So war er mit seinen Gedanken schon wieder weit weg, als er sagte: „Irgendwann wird er ja wieder aufwachen.“
Aber Peter Schimmelpfennig schlief und schlief weiter. Er war auf dem besten Wege, einen Rekord im Dauerschlafen aufzustellen.
Jimmy Miller war inzwischen schon zweimal ins Hotel gelaufen, um nachzusehen. Und beide Male war die Lage unverändert gewesen: der schlafende Junge auf der Couch zwischen den Badetüchern und das Stück Papier mit der Nachricht, das noch immer unberührt auf dem Boden lag.
„Du hast recht, er ist bestimmt völlig harmlos“, meinte Jimmy, als er wieder zu seinem Vater unter den Sonnenschirm zurückkam. „Aber er hat leider die Schlafkrankheit.“
Etwa um die gleiche Zeit kam der junge Mann namens Rodrigo Sola vom Einkaufen zurück. Als er gerade seine kleine Parterrewohnung in der Rua do Matoso aufschließen wollte, läutete drinnen das Telefon.
Tagelang rührt sich das Ding überhaupt nicht, dachte Rodrigo wütend, und wenn man alle Hände voll hat, klingelt es sich die Kehle aus dem Hals! Er hatte seine Knie gegen die Tür gestemmt und die Tüte mit Obst, Konserven und Waschpulver auf seinem Bein abgestellt. So hatte er eine Hand für den Schlüssel frei.
Das Telefon klingelte pausenlos weiter.
Endlich war der schwarzhaarige junge Mann in seinem Zimmer. Er ließ die Tür offen und nahm den Hörer ab. Schon wenige Augenblicke später hatte er die denkbar beste Laune. Die Agentur von Senhor Tavares war nämlich am Apparat, und der Chef wünschte Herrn Sola sofort zu sehen. Es sei ungeheuer wichtig und dringend.
Leider habe er im Augenblick etwas zu erledigen, das auch sehr dringend wäre, sagte Rodrigo. Aber für morgen könne er sich freimachen. Ob es irgendwann am Nachmittag passen würde?
Er bekäme wieder Bescheid, erklärte der Angestellte der Agentur und verabschiedete sich.
Herr Sola machte jetzt die Tür zu, packte seine Einkäufe aus und legte schließlich ein Stück Corned beef in die Pfanne. Er hatte noch nicht zu Mittag gegessen. Was will Senhor Tavares wohl von mir? dachte er dabei. Jedenfalls soll er nicht glauben, daß ich auf der Straße herumliege und nur darauf warte, bis er mich zu
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