Der blinde Passagier
Linksverkehr. Wie auf der ganzen Insel.
Die Frederick Street war die einzige Haupt- und Geschäftsstraße, mit meist zweistöckigen, schmalen Häusern. Sie endete zwischen den Hochbauten einiger Banken und am Bronzestandbild des Gründers der Stadt. Von da führte sie weiter zum Hafen.
Am Independence Square bei der Manhattan Bank ließ
Rodrigo den Fahrer mit seinem tintenblauen Taxi halten. Peter Schimmelpfennig mußte sich wieder hinter den großen Gläsern der Sonnenbrille verstecken, und der rothaarige Alain wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das nicht gutt“, stöhnte er und stieg aus.
„Eine Affenhitze“, gab Peter Schimmelpfennig zu. Die Sonne brannte fast senkrecht vom Himmel in die Straßen. Menschen sah man nur dort, wo es Schatten gab, oder in den überdachten Geschäftspassagen.
Inder standen mit Chinesen zusammen oder mit Weißen, die aus Frankreich oder Portugal stammen konnten. Vor allem die Negerfrauen trugen Kleider und Strohhüte in ganz grellen Farben. Die Männer hatten nur Hemd und Hose an. Krawatten oder Jacketts waren kaum zu sehen. Sogar die schwarzhäutigen Polizisten trugen nur leichte, kurzärmelige Hemden und Shorts. Sie hatten weiße Tropenhelme auf und saßen stolz und sehr aufrecht auf ihren Pferden.
Peter Schimmelpfennig ließ sich zwischendurch immer wieder einmal mit seinem eigenen Fotoapparat aufnehmen und machte sich andauernd Notizen. Als sein Film bis zum letzten Bild belichtet war, legte ihm Alain einen neuen ein und machte auch gleich die erste Aufnahme — mitten in der Frederick Street und mit einem Negerpolizisten im Hintergrund.
„Alles fürs abendblatt“, grinste der junge Brasilianer Rodrigo wieder.
Und dann wurde Peter Schimmelpfennig völlig neu eingekleidet. Schon nach einer knappen halben Stunde gehörten ihm sechs Hemden in allen möglichen Farben, ein weißer Leinenanzug und zwei Hosen.
Alain hatte die Sachen ausgesucht. Als es jetzt ans Bezahlen ging, holte Rodrigo Sola ein ganzes Bündel Dollarnoten aus der Tasche.
„Das berechtigt zu einigen Hoffnungen“, stellte der rothaarige Alain trocken fest.
Die Einkäufe wurden in einen Koffer verpackt, der ebenfalls von Rodrigo bezahlt wurde, und eine der neuen Hosen sowie ein zitronengelbes Hemd mußte Peter Schimmelpfennig gleich anbehalten.
„Zu der blauen BABALU-Schrift und der roten Limonade paßt Gelb besonders gut“, erklärte Alain, „aber auch Weiß und ein zartes Grün sind möglich. Nun, wir haben ja alles und werden sehen.“
Eine ganze Weile ging es anschließend mit dem tintenblauen Taxi an Kokosplantagen und Reisfeldern vorbei.
„Es gibt hier alles“, erklärte der schwarze Fahrer. Er sprach von der Insel wie ein Kleingärtner von seinem Schrebergarten: „Mango, Ananas, Öl, Grapefruit — und Palmen, soviel Sie wollen.“
Alain hatte nämlich nach einer Stelle mit Meer und Palmen gefragt. „Und zwar mit möglichst vielen Palmen. Und wenn es das gibt, ein Stück Meer mit weißem Sandstrand“, hatte sich der dickliche Franzose gewünscht.
Am Maracas-Beach waren diese Wünsche schon eine Stunde später erfüllt.
„Merveilleux!“ rief Alain und fing schon an, seine metallbeschlagenen Koffer aus dem Gepäckraum des Taxis zu holen. Er war ganz aufgeregt.
Peter Schimmelpfennig und Rodrigo aber standen eine ganze Weile wie verzaubert. Die Bucht war von dunkelgrünen Bergen eingerahmt. Tausende von Palmen standen nebeneinander und reichten bis zum Strand und dicht ans Meer. Sie waren sehr hoch, und viele wuchsen schräg oder gebogen in den Himmel, der tropisch glühte. Ein starker Wind trieb hohe Wellen zum Strand. Dort brachen sie sich dicht vor dem weißen Sandstrand. Überall lagen und badeten Menschen aller Hautfarben, und im Schatten der Bäume parkten Autos und Omnibusse. Aus den Kofferradios hörte man Calypsomelodien.
Der rothaarige Alain arbeitete wie im Rausch. „Das Licht könnte nicht besser sein!“ jubelte er. „Und diese Palmen und das Meer und die Wellen!“
Peter Schimmelpfennig mußte sich zuerst vor diese Wellen stellen, dann auf den gebogenen Stamm einer Palme setzen und sich schließlich in den Sand legen, jedesmal mit einem Glas BABALU in der Hand und immer wieder mit einer anderen Hose oder mit neuen Hemden in bunten Farben.
„Lächeln!“
„Jetzt das Profil — die Nase etwas höher!“
„Den Mund ein wenig weiter auf!“
„Die Lippen anfeuchten!“
„Jetzt mit den Augen leicht mehr nach rechts.“
„Das Glas ausstrecken — bis
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