Der blinde Passagier
dicht vor die Kamera!“
„Und vergiß nicht zu lächeln!“
„Jetzt trinken und dabei mit den Augen nach oben strahlen!“
Erst als die Sonne untergehen wollte, packte der dicke Alain seine Fotoapparate wieder zusammen. „Das Licht wird schon zu rot“, meinte er bedauernd. Er ließ den Kopf hängen wie ein Fußballspieler, der gerade erfahren hat, daß sich vor fünf Minuten auf der ganzen Welt sämtliche Fußbälle in Blumenvasen verwandelt haben.
Während der Rückfahrt ins Hotel wurden die Schatten immer länger, und die unerträgliche Hitze ließ endlich nach. Jetzt waren auch viel mehr Menschen unterwegs als am Mittag. Auf großen Rasenflächen wurde Kricket gespielt. Schwarze und weiße Kinder waren wie Schüler von englischen Internaten angezogen und ließen Drachen steigen.
In einem Park diskutierten ältere und jüngere Männer über Politik. Man saß dabei auf Bänken unter den riesigen Samaan-bäumen, stand in Gruppen beisammen oder hörte einem Redner zu, der sich wie im Hydepark in London auf eine leere Kiste gestellt hatte.
Das Abendessen wurde im Freien eingenommen. Unter den Palmen und rund um den Swimming-pool des Hotels waren weißgedeckte Tische aufgestellt, und auf einer Terrasse machten zwanzig junge Trinidad-Neger Steel-Band-Musik.
„Das ist eine besondere Attraktion der Insel“, bemerkte Rodrigo Sola. Er hatte gerade mit dem sonnenbebrillten Peter Schimmelpfennig und dem rothaarigen Alain an einem Tisch Platz genommen.
Die Gruppe der jungen Neger trug sehr bunte Hemden. Sie standen und trommelten im Calypsorhythmus auf den runden Flächen von Benzinfässern. Diese Benzinfässer waren jeweils quer durchgeschnitten, am anderen Ende offen und verschieden lang. Manchmal war beinahe noch das ganze Faß erhalten, und dann wieder war der Rand nur noch zwanzig oder zehn Zentimeter breit. Entsprechend hoch oder tief klangen die Töne der Trommelschläge. Damit das Ganze hübsch aussah, hatten die Burschen die Benzinfässerteile farbig angestrichen.
„Angeblich ist die Steel-Band-Musik im letzten Krieg erfunden worden“, erzählte Rodrigo und blickte zu der schwarzen Kapelle hinüber. „Instrumente waren damals nicht zu bekommen. Aber die jungen Neger aus Trinidad können ohne Musik nicht leben. So fingen sie an zu experimentieren, trommelten mit Löffeln auf Eimer, Töpfe. Pfannen, Flaschen und schließlich auch auf leere Benzinfässer. Und dabei blieben sie. Zum großen Ärger der Benzinfirmen, die jetzt zum Schutz ihrer Lager Polizeikommandos anfordern mußten. Aber die Fässer verschwanden trotzdem und wanderten in die Keller und Hinterhöfe, in denen die Jungen ihre Treffpunkte hatten. Heute sind diese Bands und ihre Schallplatten auf der ganzen Welt bekannt.“
„Sehr scheen“, stellte der dickliche Alain fest. Er hatte sich wieder völlig verwandelt, lag lässig in seinem Stuhl und schlürfte ziemlich hörbar einen Campari. „La musique.“ Er horchte eine Weile zu der Steel-Band hinüber. „Das Orange da oben.“ Jetzt blickte er langsam zum Himmel. Da stand der Mond wirklich gelb und rund wie eine Apfelsine zwischen den Palmenblättern. „Wirklich, sehr scheen“, wiederholte der französische Fotograf, und es war ihm anzusehen, daß er sich pudelwohl fühlte.
Als dann Captain Nelson zusammen mit seinem langen Kopiloten aufkreuzte, wanderten alle fünf zu dem offenen Buffet hinüber. Dort bekam man von den schwarzhäutigen Kellnern Teller und durfte sich aussuchen und an seinen Tisch mitnehmen, was man wollte. Und das konnte man wiederholen, sooft man dazu Lust hatte. Vom offenen Feuer gab es gebratenes Schweinefleisch und Geflügel. Auf drei langen Tischen warteten karibische Spezialitäten, die wie im Schaufenster eines Delikatessengeschäftes aufgebaut waren.
Peter Schimmelpfennig erfuhr an diesem Abend zum ersten Mal, wie Kaviar schmeckt und was man mit Hummern und Austern anfängt, wenn sie vor einem auf dem Teller liegen.
„Sehr, sehr scheen“. wiederholte Alain. Er hatte inzwischen den zweiten Ausflug zum Buffet hinter sich.
„Wir verladen schon ab Mitternacht“, gab Captain Nelson bekannt. Er hielt sich vor allem an Leberpastete und Weißwein. „Das bedeutet, daß wir um sieben starten können.“
„Und daß wir mitten in der Nacht aufstehen“, bemerkte der rothaarige Alain und starrte einen Augenblick nachdenklich in sein Weinglas. „Das Leben kann zuweilen verdammt hart zuschlagen“, murmelte er.
Ein blauer Scheinwerfer flammte auf und zielte auf
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