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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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war durch die Klimaanlage angenehm kühl. Rodrigo hatte schon auf dem Korridor damit angefangen, in der Zeitung herumzublättern. Es handelte sich um eine Daily mail, die zwei Tage alt war. Schon auf der dritten Seite fand der junge Brasilianer, was er befürchtet hatte: ein Foto von Peter Schimmelpfennig — mit einem Bericht über den „blinden Passagier aus Hamburg“.
    „Ich glaube nicht, daß er dich erkannt hat“, überlegte Herr Sola. „Vermutlich nimmt er nur an, daß er dich schon einmal irgendwo gesehen hat, und er weiß nicht genau, wo er dich hintun soll. Gefährlich hätte es allerdings werden können, wenn er in der nächsten halben Stunde zum zweiten Mal über dein Gesicht gestolpert wäre. Aber das kann ja jetzt nicht mehr passieren.“ Rodrigo warf die daily mail auf den Tisch und holte sich eine Zigarette aus der Tasche. „Ich sag’ es ja“, meinte er noch, „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“ Und dann lachte er plötzlich: „Es kann gar nicht schiefgehen. Vielleicht hast du gesehen, wie ich ihm mit der rechten Hand durchs Haar gefahren bin.“
    „Und?“ fragte Peter Schimmelpfennig.
    „Wenn man es schafft, einem Neger mit der rechten Hand durch sein Haar zu fahren und der Bursche läßt sich das gefallen, bedeutet es ganz unverschämtes Glück. Das zählt mehr als ein Hochzeitszug oder zehn Nonnen. Aber in Rio gelingt einem das kaum, weil die Neger Bescheid wissen und sofort wütend werden, wenn man an ihr Haar will.“
    „Und wie geht es jetzt weiter?“ fragte Peter Schimmelpfennig nach einer Weile vorsichtig. Er nahm seine Sonnenbrille von der Nase und machte die Balkontür auf. Man hörte jetzt von unten die Steel-Band und Gesang.
    „Du willst wissen, was Senhor Tavares gesagt hat?“ meinte Herr Sola und zündete sich dabei eine Zigarette an. „Es bleibt bei unserer Verabredung. Nichts hat sich geändert. Die Presse nimmt an, daß du noch in Rio bist, und bei dieser Meinung wollen wir sie auch lassen. Du bist unauffindbar, und man sucht dich. Inzwischen gondelst du fröhlich weiter durch die Welt. Und je länger das geheim bleibt und je weiter du kommst, um so interessanter wird es für die Zeitungen, wenn du irgendwo und irgendwann wieder aus einem Flugzeug kletterst und freundlich ,Guten Morgen’ sagst.“ Der junge Brasilianer zog an seiner Zigarette und lächelte: „Auch beim abendblatt wird deine Geschichte dadurch erst richtig spannend. Zeitungsleute sagen, daß es mit den dicksten Sensationen geht wie mit toten Fischen. Nach drei Tagen stinken sie. Man hat sich schon an sie gewöhnt, wie zum Beispiel an einen Regenschirm, der immer zu Hause herumliegt. Aber wenn er einmal verlorengeht, ist er plötzlich wieder interessant, und wenn man ihn zurückbekommt, freut man sich, als ob er nagelneu wäre.“
    „Das kann alles stimmen“, gab Peter Schimmelpfennig zu. „Und wohin fliegen wir morgen früh?“
    „Ich könnte es dir sagen“, meinte Rodrigo Sola und fing an, im Zimmer hin und her zu wandern. „Aber wir haben ausgemacht, daß du Vertrauen hast und dich überraschen läßt. Das hat für dich den Vorteil, daß du gar nicht in die Verlegenheit kommen kannst, irgend jemanden wissen zu lassen, wo du morgen oder übermorgen sein wirst. Und damit niemand erfährt, wo du gerade im Augenblick bist, bin ich bei dir.“
    „Als mein Schatten“, grinste Peter Schimmelpfennig. „Übrigens fehlt mir seit heute mittag Geld. Es waren etwas mehr als hundert Deutsche Mark und dann das brasilianische Geld, das ich von Senhor Tavares bekommen habe. Ich hatte alles in einer braunen Brieftasche. Ich wollte nichts sagen, weil ich annehme...“
    „Du nimmst richtig an“, gab der junge Brasilianer zu. Er holte Peters braune Brieftasche heraus und steckte sie wieder ein. „Auch eigenes Geld in der Tasche könnte dich in Verlegenheit bringen. Damit kann man Telegramme bezahlen und notfalls auch Ferngespräche.“
    „Ich bin Ihnen also völlig ausgeliefert, mein Herr“, grinste Peter Schimmelpfennig wieder.
    „Es sieht jedenfalls so aus“, sagte Rodrigo durch seinen Zigarettenrauch hindurch, „aber ich weiß natürlich genau, daß du trotzdem türmen kannst, wenn du es darauf anlegst. Ich kann nicht immer hinter dir herlaufen wie ein Polizeibeamter. Und ich will es auch nicht. Du bist freiwillig mitgekommen. Jetzt solltest du das Spiel auch mitspielen. Ich laß dich also jetzt, zum Beispiel, allein. Ich schneide deine Telefonschnur nicht durch, nagle nicht die

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