Der blinde Passagier
wurde gleich nach dem Frühstück am laufenden Band weitergestrahlt und weitergelächelt.
Zuerst mußte Peter Schimmelpfennig wieder ins Wasser. Auf den Rand des Swimming-pools hatte Alain eine Limonadenflasche gestellt, und neben ihr mußte Peter jetzt auftauchen und dabei auf das BABALU-Etikett starren, als sei es ein Lotteriegewinn oder der Weihnachtsmann persönlich. Allein für diese Aufnahme verschoß der dicke Franzose mindestens drei Filme. Es kam nämlich darauf an, daß beim Auftauchen die Wassertropfen möglichst günstig durch die Gegend flogen. Diese Einzelheit machte die Sache besonders kompliziert.
Weitere Aufnahmen wurden in einem Liegestuhl gemacht, vor einer Palmengruppe und immer wieder mit dem Swimming-pool im Hintergrund.
Plötzlich kam der rothaarige Fotograf auf den Einfall, daß die BABALU-Limonade ja noch viel begehrenswerter erschien, wenn zwei oder drei Eiswürfel in ihr herumschwammen. Also wurde ein Negerboy engagiert, der immer wieder neue Eiswürfel aus der Küche holen mußte; sämtliche bisherigen Aufnahmen wurden wiederholt.
„Jetzt artet es in Schwerarbeit aus“, stellte Peter Schimmelpfennig fest. Aber er setzte sich zum zweiten Mal unter dem Sonnenschirm an den Frühstückstisch und hinter die BABALU-Limonadenflasche.
Übrigens bat Peter darum, daß man auch mit seinem eigenen Apparat gelegentlich ein Foto mache. „Fürs Familienalbum”. erklärte er.
„Und vielleicht auch fürs abendblatt-, grinste Rodrigo Sola.
„Auch fürs abendblatt’, gab Peter Schimmelpfennig zu. „Übrigens, wie ist das mit der Sonnenbrille? Müssen wir jetzt nicht mehr vorsichtig sein? Noch auffälliger als im Augenblick kann ich mich eigentlich kaum mehr aufführen.“
„Das müssen wir in Kauf nehmen“, antwortete Rodrigo, „Berufsrisiko.“
Gegen Mittag ließ der rothaarige Alain bekanntgeben, daß er andere Motive als Hintergrund brauchte. Er schwitzte wie ein Nilpferd, das einen Dauerlauf gemacht hat. und packte seine Apparate wieder in ihre Koffer zurück. „Und dann braucht der Junge verschiedene Sachen zum Anziehen. Ich kann ihn nicht immer nur in seiner Badehose fotografieren.“ Er trabte unter die Dusche und anschließend ins Schwimmbecken. Dort schwamm ihm Rodrigo zwischen die Beine und zog ihn unter die Wasseroberfläche. Aber Peter kam dem Rothaarigen zu Hilfe und warf sich mit seinem ganzen Gewicht dem jungen Sola über die Schultern. Die drei fanden plötzlich, daß sie ganz gut zusammenpaßten.
Als sie dann später mit einer Taxe in die Stadt fuhren, wollte Alain von Peter Schimmelpfennig bereits die ersten Worte Deutsch lernen. Wie üblich fingen sie an mit „Guten Morgen“, „Bitte schön“ und „Wie geht es dir?“
Etwa um die gleiche Zeit, als der rothaarige Franzose Alain beigebracht bekam, was „Danke schön“ heißt und „Guten Abend“, fiel einem Ober im Hotel Excelsior in Rio ein dunkelblauer Wintermantel auf. Er lag auf einem Sessel in der Halle, die um diese Zeit fast leer war.
Der Ober nahm den Mantel, gab ihn zur Garderobe und sagte dem Portier Bescheid. Und weil der Portier feststellen wollte, wem das Kleidungsstück gehörte, durchsuchte er die Taschen. Dabei fand er schließlich ein Lufthansa-Flugticket für die Strecke Hamburg-Frankfurt auf den Namen Peter Schimmelpfennig.
Dem Portier war sofort klar, daß er hier keinen Wintermantel in der Hand hatte, sondern eine Zeitbombe. Der Name Schimmelpfennig war während der letzten Tage im Hotel so häufig genannt worden, daß ihn beinahe schon die Frauen kannten, die in der Küche Kartoffeln schälten.
Zuerst wurde die Polizei verständigt und dann die deutsche Botschaft. Das blieb natürlich nicht geheim. Die Reporter, die zum Teil noch herumgesessen hatten, rissen ihre Fotoapparate vor die Augen, und immer neue Zeitungsleute wurden alarmiert.
Der Schimmelpfennigsche Wintermantel wurde behandelt wie ein Leprakranker. Aus Gründen der Spurensicherung durfte er nur mit Handschuhen angefaßt werden.
Aber das Fotografieren war erlaubt.
Und so kam es, daß die Presseleute pausenlos Löcher in den dunkelblauen Wintermantel blitzten. Er hing an einem Kleiderbügel in der leeren Garderobe und war bestimmt der meistfotografierte Wintermantel der letzten fünfzig Jahre. Jeder Filmstar hätte vor Neid erblassen können.
Calypso, Feuerschlucker und ein Liftboy,
der sich nicht im klaren ist
Port of Spain wirkte immer noch wie eine Stadt aus der englischen Kolonialzeit. Die Autos fuhren im
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