Der blinde Passagier
Balkontür zu und lasse dir den Zimmerschlüssel. Noch eine Frage?“
„Was hat Senhor Tavares wegen...“
„Fünfzig Prozent“, unterbrach der junge Brasilianer, „von dem Betrag, den die BABALU-Leute bezahlen, eine Hälfte für dich und die andere für die Agentur. Der Vertrag ist schon ausgeschrieben und wird uns nachgeschickt.“
„Einverstanden“, sagte Peter Schimmelpfennig. „Ich warte genau vier Tage. Wenn der Vertrag bis dahin nicht gekommen ist, wird leider mein Lächeln für die BABALU-Limonaden einfrieren.“
„In Brasilien sind Streiks verboten.“
„Wir sind in Trinidad.“
„Noch etwas?“ Rodrigo war schon an der Tür.
„Ich hätte gerne ein paar Ansichtskarten und Briefe verschickt“, meinte Peter Schimmelpfennig. „Aber da ich völlig verarmt und mittellos bin...“
„Briefpapier liegt drüben auf dem kleinen Schreibtisch, und Ansichtskarten schicke ich dir herauf.“ Rodrigo Sola lachte und sah wieder einmal so aus, als wäre er selber noch ein Schuljunge. „Morgen früh geht dann alles zur Post. Aber bleib nicht zu lange auf und schlaf gut! „ Er machte die Tür hinter sich zu, kam aber gleich noch einmal zurück: „Falls du dir noch etwas zum Trinken bestellen willst, der Etagenservice hat 0011.“ Er zeigte zum Telefon und verschwand jetzt endgültig.
Als Peter Schimmelpfennig im Badezimmer gerade unter der kalten Dusche stand, kam irgendein Hotelboy mit Ansichtskarten.
„Your postcards, Mister“, rief er durch die offene Tür. „Thank you“, rief Peter zurück, „put them on the table !“ Peter trocknete sich ab und legte seinen Bademantel um. Anschließend nahm er den Telefonhörer ab und wählte die 0011. Er war eigentlich nicht besonders durstig. Aber es war doch sehr verlockend, per Telefon und in englisch einen Orangensaft mit Eis zu bestellen.
Der Blick vom Balkon erinnerte natürlich überhaupt nicht an Dakar. Das Meer fehlte, und es zirpten auch keine Grillen. Aber es war immerhin auch der Balkon eines Hotels, und Peter war wieder einmal allein. Seine Gedanken sprangen die paar tausend Kilometer nach Hamburg zu Frau Schimmelpfennig, der Großmutter, Dr. Liesegang, dem Sheriff, dem kleinen Ulli Wagner und Studienrat Semmelroth. Ihre Gesichter blickten über den Balkonrand, eines neben dem anderen — wie Blumentöpfe.
Es klopfte und ein Negerkellner, der schon weiße Haare hatte, brachte den bestellten Orangensaft mit Eis.
Eine Weile später saß Peter Schimmelpfennig an dem kleinen Schreibtisch. Er schrieb lange Briefe an seine Mutter und an Chefredakteur Dr. Liesegang vom abendblatt. Anschließend bekamen noch alle Gesichter, die ihn kurz zuvor auf seinem Balkon besucht hatten, bunte Ansichtskarten, auf denen halbnackte Neger unter Palmen Calypso tanzten oder auf Benzinfässern herumtrommelten.
Schließlich sammelte Peter Schimmelpfennig aus seinen Hosentaschen alle Zettel zusammen, die er im Laufe des Tages vollgeschrieben hatte. Dann nahm er sein Glas Orangensaft und wanderte zum Balkon. Vom Swimming-pool her war immer noch Musik und Gesang zu hören.
Ich muß mich dazu zwingen, jeden Abend aufzuschreiben, was ich gesehen habe und was mir passiert ist, überlegte Peter Schimmelpfennig. Man vergißt zu schnell und erlebt zu viel. Er spazierte zu dem kleinen Schreibtisch zurück und sortierte seine Notizzettel in richtiger Reihenfolge. Daraufhin nahm er den Block mit dem Briefpapier des Hotels und malte auf die erste Seite Ort und Datum. Er nahm einen Schluck Orangensaft und fing an zu schreiben. Zuerst versuchte er sich an jede Einzelheit des Fluges von Rio nach Trinidad zu erinnern. Anschließend kam der ganze heutige Tag an die Reihe. Die Notizen auf seinen Zetteln halfen ihm immer wieder weiter. Aber es ist kaum zu glauben, wieviel man schon im Laufe von vierundzwanzig Stunden vergessen kann, überlegte er zwischendurch und schrieb weiter, manchmal nur im Telegrammstil.
„... bringt ein weißhaariger Neger den Orangensaft mit Eis. Balkon. Denke an zu Hause. Schreibe noch Briefe und Ansichtskarten. Und dann fange ich diesen Bericht an, eine Art Tagebuch.“
Peter Schimmelpfennig nahm wieder einen Schluck Orangensaft und überlegte eine Weile. Dabei sah er ins Licht der
Schreibtischlampe. Im Nebenzimmer wurde die Tür aufgeschlossen.
„... und eigentlich habe ich bisher ziemlich viel Glück gehabt“, schrieb Peter Schimmelpfennig gerade, als Sola seinen Kopf durch die Tür steckte.
„Ich muß dich um sechs Uhr wecken. Du solltest längst
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