Der blinde Passagier
Wohnungstür, und Frau Schimmelpfennig sprang auf. „Vielleicht ein Telegramm“, rief sie und rannte los. Aber es war ein Beamter vom Gaswerk. Er kannte die Wohnung wie seine eigene Hosentasche und spazierte zum Zähler im Korridor. „Ein toller Hirsch“, meinte er. „Ich habe Ihren Jungen in der Zeitung natürlich sofort wiedererkannt. Bin schon gespannt, wie’s weitergeht.“ Er rechnete dabei, schrieb und riß die Quittung von seinem Block. „Achtzehn Mark zwanzig bekomme ich.“
Der Beamte konnte noch nicht im nächsten Stockwerk sein, da klingelte es schon wieder. Dieses Mal war es das Telefon.
„Ihre Sekretärin“, sagte Frau Schimmelpfennig, und Chefredakteur Dr. Liesegang nahm den Hörer.
„Ich sagte doch, daß Sie mich nach Möglichkeit nicht stören sollen. Was gibt’s denn so Wichtiges?“
„Nur daß die Herren in der Redaktionskonferenz auf Sie warten“, antwortete Fräulein Bertelsmann, „und daß hier auch sonst der Teufel los ist. Weiter nichts.“
„Entschuldigen Sie“, knurrte Dr. Liesegang, „ich komme gleich.“ Er legte den Hörer zurück und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarre.
„Sie sind ziemlich nervös“, stellte die Großmutter fest, „das gibt Magengeschwüre, wenn man’s übertreibt.“
„Die Geschichte geht mir an die Nieren“, gab der Chefredakteur zu. „Ich bin überzeugt, daß am Ende alles gutgeht. Aber für unsere Nerven ist das bis dahin kein Kinderspiel, fürchte ich.“ Er zwängte sich wieder in seinen schweren Mantel. „Ich würde mich freuen, wenn Sie mitkommen. Frau Schimmelpfennig. Wenn es etwas Neues gibt, bei uns hören Sie es zuerst.“
„Sehr freundlich“, sagte Frau Schimmelpfennig. „Hier sitze ich doch nur herum und warte.“
„Und ich mache Telefondienst“, gab die Großmutter bekannt. Sie setzte sich auch schon dicht neben das Telefon. „Am besten, ich übernachte heute hier im Sessel. Dann höre ich sofort, wenn der Apparat klingelt.“
Beim abendblatt war wirklich der Teufel los.
Dr. Liesegang hatte noch nicht die Tür zu seinem Büro aufgemacht, da meldete sich auch schon seine Sekretärin durch den Lautsprecher: „Das Auswärtige Amt, soll ich verbinden?“
„Es muß wohl sein“, meinte der Chefredakteur und zog dabei seinen Mantel aus. „Redaktion abendblatt“, meldete er sich und hörte eine Weile schweigend zu. Dabei gab er Frau Schimmelpfennig ein Zeichen zum Platznehmen. Schließlich sagte er nur: „Nein, im Augenblick bin ich so klug wie Sie. Aber Ihre Leute von der Botschaft in Rio sind doch an Ort und Stelle. Wenn die ihre Beine etwas mehr als üblich unter den Arm nehmen, müßte bestimmt etwas rauszukriegen sein. Ja... Nein... Wir haben als letzte Nachricht auch nur die Meldung über diesen aufgefundenen Wintermantel. Aber ich rufe Sie an, wenn ich neue Nachrichten habe. Und umgekehrt melden Sie sich bei mir. Besten Dank.“
Fast im gleichen Augenblick, als Dr. Liesegang auflegte, war wieder Fräulein Bertelsmann aus dem Vorzimmer zu hören. „Die Interpol, und auf Leitung zwei wartet die Lufthansa.“
„Reklamieren Sie beim Fernamt unsere Anmeldung an diesen Mister Miller in Rio“, sagte der Chefredakteur und streifte ein wenig von seiner weißen Zigarrenasche ab. „Und jetzt geben Sie mir Leitung eins.“
„Die Herren der Redaktionskonferenz fragen auch laufend nach Ihnen“, erinnerte Fräulein Bertelsmann noch. Es klickte im Lautsprecher, und Dr. Liesegang nahm wieder den Hörer ab.
Die Interpol wollte durch einen Beamten für die Fahndung Material und Unterlagen über Peter Schimmelpfennig abholen lassen, und die Direktion der Lufthansa bot ihre Hilfe an. Kapitän Roland würde am Nachmittag wieder einmal nach Dakar und Rio starten. Er und ein Teil seiner Crew kannten ja den Jungen gut, und vielleicht hätte es Sinn, sich in Rio nach ihm umzusehen.
„Das ist ausgezeichnet“, trompetete Dr. Liesegang ins Telefon, „und vielleicht können Sie Flugkapitän Roland bitten, mich vor seinem Abflug anzurufen.“
„Interpol ist eine internationale Polizeiorganisation“, erklärte der Chefredakteur vom abendblatt, als er mit Frau Schimmelpfennig aus dem Zimmer ging. „Sie schicken einen Beamten vorbei. Vielleicht wollen Sie mit ihm sprechen?“ Über dem Konferenztisch der Redaktion lag die übliche Dunstwolke aus Zigarettenrauch und Pfeifenqualm.
„Das ist Frau Schimmelpfennig“, stellte Dr. Liesegang vor, als er eingetreten war. Die Herren und Damen nickten. Der dicke Sportredakteur
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