Der blonde Vampir
war. Denn Krishna spielte das Lied des Lebens. Jeder Ton schilderte einen Moment des menschlichen Lebens. Sein Atem, mit dem er die Musik erzeugte, war der Atem aller Menschen auf dieser Welt. Er spielte die dritte Note auf seiner Flöte, und der dritte Teil meines Körpers, der Nabel, vibrierte unter den Emotionen, die so alt waren und jetzt doch so neu. Der Nabel ist der Sitz der Eifersucht und der Zuneigung, der Freude und der Großzügigkeit. Ich spürte das, während er spielte. Wenn Krishna einen bestimmten Ton erzeugte, fühlte ich mich plötzlich nackt und bloß. Und dann, bei einem anderen Ton, langgezogen und hell, lächelte ich wieder und wollte alles, was ich an Schönem besaß, mit den anderen teilen. So weit ging seine Herrschaft über mich.
Sein Spiel verwirrte die Schlangen völlig. Keine griff ihn an. Aber auch Yaksha gelang es, die Tiere mit seiner Melodie in Schach zu halten, doch er schaffte es nicht, sie auf seinen Feind zu hetzen. So ging der Zweikampf weiter, ohne daß die eine oder andere Seite verletzt wurde. Doch mir war klar, daß Krishna der Sieger war, denn er beherrschte meine Gefühle. Er spielte die fünfte Note auf seiner Flöte, welche den fünften Teil meines Körpers erweckte, die Kehle. An diesem Ort sitzen zwei Gefühle: Kummer und Dankbarkeit. Beide bringen Tränen, zum einen bitter, zum anderen süß. Als Krishnas Melodie leiser wurde, spürte ich, daß ich weinen wollte. Dann änderte er den Ton, und ich empfand unendliche Dankbarkeit. Doch ich wußte nicht, wofür ich so dankbar war. Schließlich würde Yaksha den Zweikampf mit Sicherheit verlieren, und das würde für unsere Gruppe das Ende sein.
Als ich dies eben begriff, spielte Krishna die vierte Note. Sie berührte mein Herz; sie berührte die Herzen aller, die hier versammelt waren. Im Herzen leben drei Emotionen – und ich fühlte sie alle: Liebe, Furcht und Haß. Ich begriff, daß jedes dieser Gefühle seine eigene Zeit hatte: Wenn man liebt, kennt man weder Furcht noch Haß. Wenn man sich fürchtet, kann man nicht gleichzeitig lieben oder hassen. Und wenn man haßt, dann ist im Herzen nur Platz für dieses eine Gefühl.
Krishna spielte die vierte Note anfangs sehr weich, und ich spürte ein Gefühl der Wärme. So blieb es für eine lange Zeit, und es schien fast, als ob Vampire und Sterbliche einander über die Lichtung hinweg anstarrten und sich fragten, warum sie eigentlich Feinde waren. So groß war die Macht dieses einen Tons.
Doch dann strebte Krishnas Spiel seinem Höhepunkt zu. Er senkte den Ton, und die Liebe, die alle eben noch empfunden hatten, wurde zu Haß. Bewegung kam in die Menge, und auf beiden Seiten schienen einige Wartende zum Kampf bereit zu sein. Aber nun spielte Krishna die Note wieder anders, und der Haß wurde zur Furcht. Und schließlich erfaßte dieses Gefühl auch Yaksha, den Krishnas Melodien bisher scheinbar unberührt gelassen hatten. Ich sah, daß er zitterte – das schlimmste, was er angesichts der Schlangen tun konnte. Denn eine Schlange beißt zu, wenn sie spürt, daß ihr Opfer Angst hat.
Die Tiere schlängelten sich auf Yaksha zu.
Er hätte sich in sein Schicksal ergeben können, aber er war so tapfer wie rücksichtslos. Er spielte weiter, eine verzweifelte Melodie, die die Schlangen abhalten sollte. Zuerst gelang es ihm, ihre Geschwindigkeit zu verzögern, aber auch Krishna spielte weiter. Er verharrte bei der vierten Note, sein Atem ging höher und tiefer, und schließlich glitt eine riesige Schlange auf Yaksha zu. Sie biß ihn ins Schienbein und ließ nicht wieder los, sondern hielt ihre Zähne in sein Fleisch versenkt. Yaksha konnte es nicht wagen, seine Flöte aus der Hand zu legen, um sich der Schlange zu entledigen. Dann folgte eine zweite Schlange, eine dritte, bis Yakshas ganzer Körper förmlich mit Bissen übersät war. Er war der König der Vampire, der Sohn eines Yakshini, doch selbst sein Körper konnte nicht jede Menge Schlangengift verkraften. Endlich fiel die Flöte aus seinen Händen, und er schwankte. Ich glaube, daß er versuchte, etwas zu rufen; und ich denke, daß es mein Name war. Dann kippte er vornüber, und die Schlangen begannen ihn aufzufressen. Ich konnte den Anblick nicht ertragen.
Doch plötzlich erhob sich Krishna und legte seine Flöte beiseite. Er klatschte in die Hände, und die Schlangen ließen von Yaksha ab. Krishna stieg aus der Grube und deutete auf Arjuna. Sein bester Freund kletterte in das Loch, holte Yakshas Körper heraus und legte ihn
Weitere Kostenlose Bücher