Der Blumenkrieg
husten, bis die Sterne, die eigentlich am Himmel sein sollten, unmittelbar vor seinen Augen tanzten.
»Pssst!« Ein Schatten kam auf ihn zu. »Mach nicht so einen Lärm!«
»Ich dachte, du wärest fort.«
»Ich war Brennholz holen. Na ja, und ich habe mich nach Neuigkeiten umgehört. Hier, zieh das an!« Er warf ihm ein ausgefranstes, schmutziges Etwas zu, das ein Bettlaken hätte sein können. Nach einer kurzen verwunderten Begutachtung kam Theo zu dem Schluß, daß es ein Hemd darstellen sollte. »Das habe ich in einem Mülleimer gefunden«, erklärte Wuschel.
Da merkte Theo, daß er von der Taille aufwärts nackt war. Na klar, meine Jacke … Er zog sich das Hemd über den Kopf. Es war so groß an ihm, daß er sich fragte, ob es einem Oger gehört hatte. »Du hast dich nach Neuigkeiten umgehört? Wie das?«
»Du meinst doch nicht etwa, daß du und ich die einzigen sind, die in diesem Park untergeschlüpft sind, oder? Im Gegenteil, es sind viel mehr Leute hier als gewöhnlich – nicht nur die Obdachlosen, sondern auch alles mögliche andere Volk, das sich auf einmal nicht mehr in Häusern aufhalten mag, das unter Bäumen und dem freien Himmel sein möchte wie in alter Zeit. Alle haben Angst.« Wuschel setzte sich und kramte ein Häuflein Zweige aus seinen Taschen. »Ich dachte, ich möchte nie wieder etwas brennen sehen«, sagte er. »Aber im Moment brauche ich ein Feuer.«
Theo sah schweigend zu, wie der Querz die Stöcke zurechtlegte, dann einen Fetzen, der wie Zeitungspapier aussah, aus der Tasche zog und ihn zwischen Zeigefinger und Daumen rieb, bis die Ränder sich kräuselten und sich entzündeten. Während er ihn an die Rindenstückchen hielt, die er um die Stöcke geschichtet hatte, fragte Theo: »War das das Papier? Oder hast du das gemacht?«
»Den Funken?« Wuschel zuckte die Achseln. »Ich. Ein ziemlich leichter Zauber – mit ein bißchen Übung könntest du das bestimmt auch. Aber gestern hätte ich das nicht fertiggebracht. Da war ich zu zerschlagen, zu müde, um überhaupt darauf zu kommen.«
»Wie geht’s deinen Beinen?«
»Nichts gebrochen, aber sie schmerzen, und die verbrannten Stellen jucken wie eine Gnomenunterhose. Und wie geht’s dir?«
»Mies. Ich habe Angst. Aber ich lebe, und das ist immerhin etwas.« Er starrte die kleinen Flammen an, die an dem Reisighaufen emporzuklettern begannen. »Was machen wir jetzt?«
Wuschel Segge schüttelte den Kopf. Er hatte sein gelbbraunes Gesicht von dem schlimmsten Staub und Ruß gesäubert und sah beinahe wieder wie der junge Laborassistent aus, als den Theo ihn kennengelernt hatte. »Ich weiß es nicht. Da draußen herrscht das Chaos.«
»Was meinst du mit ›da draußen‹? Wo sind wir hier?«
»Im Prozessionspark, im Stadtteil Abendstund. Einer der größten Parks der Stadt, gewissermaßen eine Erinnerung daran, wie es früher einmal war, bevor Nieswurz und die anderen – ja, auch der gute alte Fürst Narzisse – Ur-Arden komplett roden ließen, damit die Stadt Platz hatte zu wachsen.« Er blinzelte. »Es ist kaum zu glauben, daß Narzisse wirklich tot sein soll, der alte Tyrann. Eigentlich war er gar nicht so übel. Und Fürstin Jonquille war immer gut zu mir, sofern sie sich erinnerte, daß es mich gab. Ich frage mich, ob nicht vielleicht doch die Chance besteht …?«
»Nein.« Es klang härter, als Theo es meinte. Er klopfte dem Querz verlegen auf den Arm. »Tut mir leid, aber ich glaube nicht. Ich habe gesehen, wie es geschah. Aus diesem Sitzungssaal ist niemand lebend herausgekommen.«
»Und Apfelgriebs …?« Wuschel Segge schien sich zu bemühen, jede Hoffnung aus seiner Stimme zu verbannen – aus seinem Herzen auch?
»Sie könnte davongekommen sein. Oder vielleicht war sie zum Zeitpunkt des Einsturzes schon gar nicht mehr drin. Sie hat mir eine Mitteilung hinterlassen, daß sie nach draußen gehen wollte.« Da kam ihm ein Gedanke. »O Jes… natürlich, Apfelgriebs hat mir eine Mitteilung hinterlassen! Sie hätte vor der Narzissen-Residenz jemand gesehen, den ich kenne, ließ sie mir ausrichten. Ich denke die ganze Zeit, sie hätte Rainfarn damit gemeint, aber der sagte, das wäre ausgeschlossen …«
»Ich verstehe kein Wort.«
Theo berichtete von seiner kurzen, heftigen Begegnung mit dem verräterischen Grafen. »Er war derjenige, der mich ans Messer liefern wollte, soviel dürfte klar sein. Aber darum ging es mir im Moment nicht. Ich wollte sagen, daß ich dachte, Apfelgriebs hätte ihn gemeint – sie hätte
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