Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
nicht dabei. Wen Wulff in diesem Moment angerufen hat, denn
von einem Telefonat kann man wohl ausgehen, ist nicht bekannt. Im
Vorfeld des Interviews wirkt Wulff zwar sehr angestrengt und beherrscht, aber dennoch ausgesprochen verbindlich. Den beiden Fernsehjournalisten sagt er vor der Sendung, er habe keine Wahl gehabt:
„Entweder Rücktritt oder Interview."
Im Laufe des Tages kommt es bis kurz vor dem Aufzeichnungstermin zu einem Hin und Her hinsichtlich der Vorgaben, was wann aus
dem Interview wo und in welcher Länge gesendet und von wem sonst
noch verwendet werden darf. Zunächst wird zwischen Präsidialamt
und den beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern vereinbart, das
Interview in voller Länge ab 19 Uhr freizugeben. Die ARD sollte es
zunächst als Video auf ihren Online-Auftritt „tagesschau.de" stellen
dürfen, im Fernsehen sollte es dann zeitgleich auf ARD und ZDF um
20:15 Uhr gesendet werden. Angesichts der massiven Proteste von Tageszeitungen und Privatsendern verändert das Präsidialamt die Modalitäten schließlich noch einmal: Heraus kommt ein kaum noch zu durchschauender Wust an Detailvereinbarungen. Die Verwirrung darüber, was wann in welcher Länge gesendet werden darf, ist am Ende groß.
Hinzu kommt, dass die kommerziellen Fernsehsender sich massiv darüber ärgern, keine Möglichkeit für ein eigenes Interview zu bekommen. Vom journalistischen Interesse einmal abgesehen geht es natürlich
auch ums Geschäft: Das Interview mit dem angeschlagenen Bundespräsidenten verspricht Traum-Einschaltquoten. Gemeinsam legen die
Chefredakteure von RTL, Pro7Satl und der TV-Nachrichtenkanäle
N24 und n-tv schriftlich Protest beim Bundespräsidialamt ein, allerdings erfolglos. Tatsächlich verfolgen 11,5 Millionen Menschen das
Interview bei ARD und ZDF, als es um 20:15 Uhr in voller Länge
ausgestrahlt wird. Das Erste kommt auf gut acht Millionen Zuschauer
und damit auf einen Marktanteil von 23,7 Prozent, während das ZDF
mit knapp 3,5 Millionen Zuschauern einen Marktanteil von 10,2 Prozent erreicht - unterm Strich also ein Drittel aller Fernsehzuschauer.
Mit der Entscheidung, ausschließlich dem öffentlich-rechtlichen
Fernsehen ein Interview zu geben, bringt der Bundespräsident nicht
nur die Privatsender, sondern vor allem auch die gesamte Schrift-Presse gegen sich auf. Dass nur zwei Fernsehjournalisten die Möglichkeit
bekommen, Wulff mit den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben werden,
zu konfrontieren, wird ihm letztlich als Feigheit ausgelegt. Der Deutsche Journalistenverband fordert Wulff auf, sich in die Bundespressekonferenz zu setzen, um sich dort den Fragen „aller Journalistinnen
und Journalisten der Hauptstadtmedien" zu stellen. Alternativ schlägt
der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger vor, wenn schon nicht
„der souveräne Weg einer Pressekonferenz" ausgewählt werde, dann
hätten zumindest auch Vertreter der Zeitungen an dem Fernsehinterview teilnehmen müssen. Natürlich hat das Bellevue kein Interesse
daran, dass der Bundespräsident einem Tribunal von wie vielen Chefredakteuren auch immer gegenübersitzt, und im Interesse des Fernsehzuschauers wäre das vermutlich auch nicht gewesen. Für das Bundespräsidialamt kommt eine Pressekonferenz des Bundespräsidenten
aber ohnehin nicht infrage, schon aus prinzipiellen Gründen nicht.
Eine solche Situation ist nach Ansicht des präsidialen Apparates mit
dem Amt nicht vereinbar.
Die Forderung der Medien wird mit völligem Unverständnis zur
Kenntnis genommen. „Wer das verlangt, kann nicht fünf Meter links
oder rechts des Weges denken", sagt ein Mitarbeiter des Präsidialamts
in jenen Tagen. Der Schutz des Amtes hat absolute Priorität: Noch nie
hat ein Bundespräsident sich in die Bundespressekonferenz gesetzt und
eine Pressekonferenz gegeben. Aus der Binnensicht des Bellevue wäre
das eine Grenzüberschreitung, die die Rahmenbedingungen des Amtes dauerhaft verändern würde, denn auch von künftigen Bundespräsidenten könnte man dies dann in Zukunft erwarten. Dem Bellevue
gelingt es allerdings nicht, dieses Dilemma zu erklären und um Verständnis für diese Position zu werben. Im Ergebnis nimmt der ohnehin
schon kaum noch vorhandene Respekt der Medien vor Wulff weiter
ab. Doch auch strategische Gründe sprechen dagegen, da der Verlauf
für Wulff wesentlich weniger kalkulierbar gewesen wäre. Zu einer
Pressekonferenz hätte jeder Zugang gehabt, die Atmosphäre ist eine
völlig andere
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