Der Botschafter
er!«
»Wir haben Interpol und befreundete Dienste in aller Welt benachrichtigt. Die Techniker versuchen jetzt, aus vorhandenen Aufnahmen ein lebensgroßes Phantombild von ihm herzustellen.
Aber wie du weißt, ist sein Gesicht auf allen Aufnahmen mehr oder weniger verdeckt. Wir wissen nicht wirklich, wie er aussieht. Sie möchten, daß du ein paar Lücken ausfüllst.«
»Ich habe ihn auch nie genau gesehen«, sagte Michael, »aber ich habe eine ungefähre Vorstellung von seinem Gesicht.«
»Geh zu den Technikern runter und sag ihnen, was du weißt.
Ich will, daß dieses Phantombild schnellstens verbreitet wird.«
Michael starrte auf die Hand mit der Narbe.
»Will er arbeiten, muß er aus seinem Versteck kommen«, sagte Carter. »Und sobald er sich rauswagt, sind wir hinter ihm her.«
Michael lächelte und gab ihm das Foto zurück.
»Na, bist du froh, daß du meine Einladung angenommen hast und zurückgekommen bist?«
»Scheiße, ja.«
Michael verpaßte den Siebenuhrshuttle um wenige Minuten.
Er rief in New York an, um Elizabeth zu sagen, daß er sich verspäten würde, aber dort meldete sich niemand, so daß er seine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen mußte.
Dann setzte er sich in die Flughafenbar und trank ein Bier, bis sein Flug aufgerufen wurde.
Im Flugzeug starrte er aus dem Fenster, während vor seinem inneren Auge Bilder aus Nordirland vorbeizogen. Er hatte viele Stunden in Cynthia Martins Glaskasten verbracht und sich mit den paramilitärischen Organisationen beschäftigt, die in Ulster aktiv waren.
Denkbar war, daß eine der existierenden protestantischen Gruppen die Anschläge verübt und sich das Pseudonym Ulster Freedom Brigade zugelegt hatte, um nicht verdächtigt zu werden. Möglich war auch, daß die Ulster Freedom Brigade eine neue Gruppe war, deren Mitglieder bisher noch keiner paramilitärischen Organisation angehört hatten. Michael hatte jedoch eine andere Theorie: Die Ulster Freedom Brigade war eine kleine, straff organisierte und erfahrene Gruppe protestantischer Hardliner, die sich wegen des verkündeten Waffenstillstands von den bekannten Organisationen abgespaltet hatten. Die drei Anschläge waren zu professionell und zu erfolgreich gewesen, als daß sie das Werk von Amateuren sein konnten. Die Führer der Gruppe waren offenbar skrupellos und schreckten vor nichts zurück, um die Identität der Gruppe zu schützen - das bewies die Tatsache, daß alle drei Attentäter jetzt tot waren. Die Identifizierung der Mitglieder der Ulster Freedom Brigade würde schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein.
Michael hatte sich lange die Dossiers aller bekannten Mitglieder dieser paramilitärischen Organisationen angesehen.
Vor seinem inneren Auge zogen ihre Gesichter vorbei:
Häftlingsfotos, von Überwachungskameras gemachte Aufnahmen, gezeichnete Phantombilder.
Er glaubte, ein weiteres Bild zu sehen: das verschwommene, unvollständige Gesicht Oktobers. Michael hatte vermutet, er lebe noch. Jetzt hatte er den Beweis dafür das Foto der Hand mit der Narbe. Trotzdem wußte Michael, daß die Chancen, Oktober zu fassen, gering waren. Er konnte nur hoffen, daß ein weiterer glücklicher Zufall ihre Fahndung begünstigen würde.
Michael ließ sich vom Steward ein Bier geben. Er rief nochmals in New York an, hörte aber wieder nur die Ansage ihres Anrufbeantworters. Sonst hatte er täglich mehrmals mit Elizabeth telefoniert, weil sie häufig anrief, um sich nach den Zwillingen zu erkundigen. Heute hatten sie seit der Zeremonie, bei der Douglas seinen Amtseid abgelegt hatte, nicht mehr miteinander gesprochen. Obwohl Michael erst seit einem Tag wieder arbeitete, bemerkte er bereits eine gewisse Entfremdung zwischen ihnen. Er fühlte sich schuldig, aber auch zufrieden - ein Gefühl von Entschlossenheit, aber auch eine gewisse Aufregung, die er seit vielen Monaten nicht mehr gefühlt hatte.
Er gestand sich das nicht gern ein, aber in der Agency fühlte er sich wie zu Hause. Sie glich einem chaotischen Zuhause mit streitenden Eltern und verzogenen Kindern, aber sie war trotzdem ein Zuhause.
Elizabeth saß von Papieren umgeben im Bett, Michael küßte ihren Nacken, aber sie rieb sich die Stelle, als jucke sie. Er zog sich aus, machte sich ein Sandwich und kam zu ihr ins Bett.
»Ich würde dich fragen, wie's im Büro gewesen ist«, sagte sie, »aber ich weiß, daß du's mir ohnehin nicht verraten darfst.«
»Es hat Spaß gemacht, wieder zu arbeiten«, antwortete er - und bereute
Weitere Kostenlose Bücher