Der Botschafter
ist schließlich mein Beruf. Ich kann sonst nichts anderes. Ich verstehe mich nicht darauf, etwas anderes zu sein.«
»Gott, ist das jämmerlich! Manchmal tust du mir echt leid. Ich hasse diesen Teil deines Ichs, Michael. Ich hasse die Geheimnisse und die Lügen. Aber wenn ich dich wirklich daran hindern wollte - wenn ich entschieden nein sage -, würdest du Ressentiments gegen mich entwickeln, und das könnte ich auf die Dauer nicht ertragen.«
»Ich würde keine Ressentiments gegen dich entwickeln.«
»Hast du vergessen, daß du zwei kleine Kinder hast, die in ihrem Zimmer am Ende des Flurs schlafen?«
»Den meisten Väter mit kleinen Kindern gelingt's auch, einen Job zu haben.«
Sie äußerte sich nicht dazu.
»Monica sagt, daß ich meistens in New York arbeiten und ansonsten den Shuttle benützen kann.«
»Ihr scheint euch ja alles schon genau überlegt zu haben.
Wann will deine neue beste Freundin, daß du wieder anfängst?«
»Dein Vater leistet übermorgen im Außenministerium den Amtseid. Der Präsident will, daß er möglichst bald nach London geht. Ich dachte, ich könnte die Gelegenheit nutzen, um ein paar Stunden in der Zentrale zu verbringen und mich wieder einzugewöhnen.«
Elizabeth stand auf und stolzierte durchs Zimmer. »Na, dann Glückwunsch, Michael! Entschuldige, wenn ich keine Flasche Champagner aufmache.«
15
WASHINGTON • CIAZENTRALE • NEW YORK
Douglas Cannon leistete seinen Amtseid als amerikanischer Botschafter am Hof von St. James im Rahmen einer Zeremonie im sechsten Stock des Außenministeriums. Außenminister Martin Claridge nahm ihm den Eid ab, der mit dem Amtseid eines Präsidenten identisch war. Douglas schwor, er werde »die Verfassung der Vereinigten Staaten bewahren, schützen und verteidigen«, und zweihundert hastig eingeladene Gäste applaudierten.
Zum Zeremoniensaal des Außenministeriums gehört ein großer Südbalkon mit Blick über die Washington Mall und den Potomac River. Der Himmel war kaum bewölkt und die Luft nach dem brutalen Kälteeinbruch wieder mild, so daß die meisten Gäste nach der Vereidigung aus dem überheizten Saal an die frische Luft flüchteten. Michael stand etwas abseits, trank Kaffee aus einer zierlichen Porzellantasse und rauchte zu seinem eigenen Schutz eine Zigarette. Was machen Sie? lautet die zu Beginn jeder Washingtoner Unterhaltung gestellte Frage, und Michael war nicht in der Stimmung, Lügen zu erzählen.
Er beobachtete Elizabeth, die sich mühelos durch die Menge bewegte. Es hatte ihr nicht gefallen, in einer Politikerfamilie aufzuwachsen, aber sie hatte gelernt, eine Gästeschar wie ein Präsidentschaftskandidat zu bearbeiten. Sie scherzte ungezwungen mit dem Außenminister, mehreren Abgeordneten und Senatoren und selbst einigen Reportern. Michael war voller Bewunderung. Er war dafür ausgebildet, sich jeder Umgebung anzupassen, sich möglichst ungesehen zu bewegen, ständig mit unangenehmen Überraschungen zu rechnen. Empfange machten ihn jedesmal nervös. Er schlängelte sich durch die Menge, bis er Elizabeth erreichte.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte er und küßte sie auf die Wange.
»Wann kommst du nach Hause?«
»Ich versuche, den Siebenuhrshuttle zu erreichen.«
Einer ihrer ehemaligen Anwaltspartner sprach Elizabeth an und verwickelte sie in ein Gespräch. Michael ging durch gleißend hellen Sonnenschein davon. Er sah sich noch einmal nach Elizabeth um, aber sie hatte ihre Sonnenbrille aufgesetzt, so daß er nicht sah, ob sie ihm nach-oder ihren alten Freund aus der Kanzlei anschaute. Elizabeth beherrschte all diese Tricks. Er hatte schon immer gefunden, sie hätte eine ausgezeichnete Spionin abgegeben.
Michael fuhr über die Memoria l Bridge und auf dem George Washington Memorial Parkway nach Norden. Seitlich unter ihm glänzte der Potomac River. Das durch die kahlen Bäume fallende Sonnenlicht erzeugte die Illusion, er fahre durch einen Tunnel aus flackerndem Licht. Früher, bevor er seinen Jaguar verkauft hatte, hatten die Fahrten von ihrem Haus in Georgetown zur Zentrale und zurück für ihn zu den schönsten Erlebnissen des Tages gehört. In einem gemieteten Ford Taurus war die Fahrt nicht ganz so schön.
Er bog zum Haupttor der CIA ab, hielt an dem kugelsicheren Wachhäuschen und nannte dem von Special Protective Services gestellten Posten seinen Namen; da er keinen Dienstausweis mehr hatte, reichte er ihm seinen New Yorker Führerschein. Der Wachmann hakte den Namen auf einer Liste ab, gab ihm einen
Weitere Kostenlose Bücher