Der Botschafter
West Belfast bewunderte und fürchtete er die Männer der IRA - bewunderte sie, weil sie die Bevölkerung vor den protestantischen Killerkommandos der UVF und UDA beschützten, und fürchtete sie, weil sie Abweichlern die Kniescheiben zertrümmerten oder sie brutal zusammenschlugen.
Auch Maguires Vater waren beide Kniescheiben zertrümmert worden, weil er mit Diebesgut hausieren gegangen war, um die Finanzen der Familie, die von staatlicher Unterstützung lebte, etwas aufzubessern.
Maguire war Mitglied der Na Fianna Eiren gewesen einer Art Pfadfinderorganisation der Republikaner -, und sein Vater hatte trotz dieses Anschlags darauf bestanden, daß er weiter Mitglied blieb. Mit zweiundzwanzig Jahren hatte er sich freiwillig zur IRA gemeldet und den geheimen Eid im Rahmen einer kleinen Feier im elterlichen Wohnzimmer in Ballymurphy abgelegt. Den Gesichtsausdruck seines Vaters würde Maguire nie vergessen: eine eigenartige Mischung aus Stolz und Beschämung darüber, daß sein Sohn jetzt einer Organisation angehörte, die ihn zum Krüppel gemacht hatte. Maguire wurde der Belfast Brigade zugeteilt und gehörte später einer in Großbritannien aktiven Eliteeinheit an. In seiner Dienstzeit knüpfte Maguire gute Verbindungen zum Army Council, dem Oberkommando der IRA, und dem Belfast Intelligence Unit der IRA, die sich als äußerst wertvoll erwiesen, als er später die Seiten wechselte und Spion wurde.
Das Ereignis, das Maguire dazu brachte, seine ehemaligen Gefährten zu verraten, war der IRA-Bombenanschlag auf einen Umzug am Remembrance Day in Enniskillen, County Fermanagh, am 8. November 1987. Dort gab es elf Tote und dreiundsechzig Verletzte, als eine riesige Bombe ohne Vorwarnung detonierte. Die IRA versuchte danach, die Öffentlichkeit in ihrer Empörung über das Massaker zu beschwichtigen, indem sie behauptete, das Ganze sei ein Versehen gewesen. Aber Maguire kannte die Wahrheit; er hatte zu dem Team gehört, das den Anschlag verübt hatte.
Maguire war wütend, daß der Army Council ein »weiches« ziviles Ziel angegriffen hatte, und schwor sich im stillen, solche IRA-Angriffe in Zukunft zu verhindern. Da sein Haß und sein tiefsitzendes Mißtrauen den Briten gegenüber eine Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst oder der Special Branch der RUC ausschlössen, nahm er bei seiner nächsten Londonreise Verbindung mit der CIA auf. Michael wurde nach Belfast geschickt, um ihn anzuwerben. Maguire weigerte sich hartnäckig, Geld anzunehmen - »eure dreißig Silberlinge«, wie er sich ausdrückte -, und obwohl er natürlich ein IRA-Terrorist war, hielt Michael ihn bei näherer Bekanntschaft für einen anständigen Kerl.
Zwischen der CIA und den britischen Geheimdiensten gibt es ein stillschweigendes Abkommen: Die Agency betreibt auf englischem Boden keine »Beschaffung« - sie versucht nicht, die IRA zu unterwandern oder innerhalb der britischen Dienste Agenten zu gewinnen. Nachdem Michael Verbindung zu Maguire aufgenommen hatte, benachrichtigte die Agency die Briten. Der MI5 war anfangs skeptisch, stimmte aber weiteren Treffs zwischen Osbourne und Maguire unter der Voraussetzung zu, daß er gleichzeitig mit Langley über neue Erkenntnisse informiert wurde. In den folgenden Jahren lieferte Maguire stetig Informationen über vorgesehene Unternehmen der IRA und verschaffte der Agency und den Briten so Einblick in die Planung dieser Organisation. Dadurch wurde Maguire zum wichtigsten IRA-Spitzel in der Geschichte des Konflikts. Als Michael aus dem Außendienst abgezogen wurde, bestimmte die Agency einen neuen Mann, Jack Buchanan von der Station London, zum Offizier für Maguire. Michael hatte Maguire seitdem nicht wieder gesehen.
Michael fuhr auf der Ormeau Road nach Süden. Ihr zweiter Treffpunkt war der Botanische Garten an der Kreuzung Stranmills/University Road. Auch diesmal war er sich sicher, nicht beschattet zu werden. Aber Maguire ließ auch diesen Treff aus.
Ihr letzter Treffpunkt war ein Rugbyfeld in dem Belfaster Stadtteil Newtownbreda, und dort sah Michael Kevin Maguire eine Stunde später neben einem Torpfosten stehen.
»Warum hast du die beiden ersten ausgelassen?« erkundigte er sich, als Maguire einstieg und die Autotür zuzog.
»Kein bestimmter Grund - bloß kein gutes Gefühl.« Maguire zündete sich eine Zigarette an. Mit schwarzem Regenmantel, schwarzem Pullover und schwarzen Jeans sah er nicht wie ein Agent, sondern eher wie ein Kaffeehausrevoluzzer aus. Belfast hatte Maguire altern
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