Der Botschafter
zugeschwollen. Über der linken Augenbraue war eine tiefe Platzwunde, die genäht werden mußte. Seine geschwollenen Lippen waren an mehreren Stellen aufgeplatzt, und auf der rechten Backe hatte er eine großflächige Schürfwunde. Sein Haar war blutverklebt. Daß man ihm einen Spiegel gegeben hatte, war Absicht. Die IRA verstand sich darauf, Verhöre wirkungsvo ll zu gestalten; er sollte sich schwach, unterlegen und häßlich fühlen. Mit solchen Methoden verhörten die Briten und die Special Branch der RUC seit drei Jahrzehnten IRA-Angehörige.
Michael ließ seinen Mantel vorsichtig zu Boden gleiten und zog die Pulloverärmel hoch. Er tauchte den Waschlappen ins warme Wasser und begann behutsam, sein Gesicht zu säubern, indem er sich das Blut von Augen, Nase und Lippen tupfte.
Dann beugte er sich tief über die Emailschüssel und wusch sich das Blut aus dem Haar. Nachdem er sich mit seinem Kamm flüchtig durchs Haar gefahren war, sah er nochmals in den Spiegel. Sein Gesicht war noch immer grausig entstellt, aber er hatte es wenigstens geschafft, den größten Teil des Bluts abzuwaschen.
Eine Faust hämmerte an die Tür.
»Ziehen Sie sich die Haube wieder über«, befahl ihm eine Stimme.
Michael tat nichts dergleichen.
»Sie sollen sich die Scheißhaube wieder überziehen, hab' ich gesagt!«
»Sie ist ganz blutig«, widersprach Michael. »Ich will eine saubere.«
Draußen polterten Schritte, und Michael hörte einen wütenden Wortwechsel auf gälisch. Wenige Sekunden später flog die Tür auf, und ein Mann, der eine Sturmhaube trug, kam mit großen Schritten herein. Er griff nach der blutverschmierten Haube und zog sie Michael grob über den Kopf.
»Sage ich Ihnen, Sie sollen die Haube aufsetzen, setzen Sie das Scheißding gefälligst auf«, knurrte er. »Haben Sie verstanden?«
Michael gab keine Antwort. Die Tür fiel ins Schloß, und er war wieder allein. Sie hatten ihm ihren Willen aufgezwungen, aber er hatte zuvor einen kleinen Sieg errungen. So ließen sie ihn etwa eine Viertelstunde lang unter der nach seinem eigenen Blut stinkenden Haube sitzen. Im Haus waren Stimmen zu hören, und einmal glaubte Michael, einen weit entfernten Schrei zu hören. Schließlich wurde die Tür wieder geöffnet und geschlossen. Ein Mann hatte den Raum betreten. Michael hörte seine Atemzüge und roch ihn auch: Zigaretten, Haarwasser, ein undefinierbarer Hauch von Parfüm, der ihn an Sarah erinnerte.
Der Mann setzte sich auf den freien Stuhl. Er mußte groß und schwer sein, denn der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht.
»Sie können die Haube jetzt abnehmen, Mr. Osbourne.«
Die Stimme klang selbstbewußt und sonor, die Stimme eines Führers. Michael zog sich die Haube vom Kopf, legte sie auf den Tisch und sah dem Mann, der ihm am Tisch gegenübersaß, direkt in die Augen. Das Gesicht des anderen war grobknochig und kantig - mit breiter, flacher Stirn, ausgeprägten Backenknochen und einer Boxernase. Die Kerbe in seinem markanten Kinn sah aus, als sei sie mit einer Axt hineingeschlagen. Zu einem weißen Oberhemd mit Krawatte trug er eine anthrazitgraue Hose mit passender Weste. Aus den auffällig blauen Augen leuchteten Intelligenz und rasche Auffassungsgabe. Aus irgendeinem Grund lächelte er.
Michael erkannte sein Gesicht. Er hatte es schon einmal in Cynthia Martins Unterlagen gesehen: auf einem Häftlingsfoto aus »The Maze«, in dem dieser Mann in den achtziger Jahren eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hatte.
»Jesus! Ich habe meine Männer angewiesen, Ihnen eine kleine Abreibung zu verpassen, aber sie haben anscheinend ganze Arbeit geleistet. Sorry, aber manchmal übertreiben die Jungs ein bißchen.«
Michael äußerte sich nicht dazu.
»Sie heißen Michael Osbourne und arbeiten bei der Central Intelligence Agency in Langley, Virginia. Vor einigen Jahren haben Sie einen Angehörigen der Irish Republican Army, einen Mann namens Kevin Maguire, als Agenten angeworben. Sie haben Maguire gemeinsam mit dem britischen MI5 geführt. Bei Ihrer Rückkehr nach Virginia haben Sie Maguire einem CIA-Offizier namens Jack Buchanan übergeben. Sparen Sie sich die Mühe, irgend etwas davon abzustreiten, Mr. Osbourne. Dafür haben wir keine Zeit, und ich will Ihnen keineswegs schaden.«
Michael gab keine Antwort. Der Mann hatte recht; er konnte alles abstreiten, indem er behauptete, hier müsse eine Verwechslung vorliegen, aber das hätte seine Gefangenschaft nur verlängert - und ihm vielleicht weitere Mißhandlungen
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