Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
Encarnación hat sie wie eine seltene Pflanze im Glashaus gehalten.«
»Davon weiß ich nichts.« Flores blickte sich um, als könnte jeden Moment einer von Encarnacións Männern auftauchen wie ein Dämon.
Bourne zuckte die Achseln. »Ich dachte, Sie kennen die beiden recht gut.«
Flores nahm noch einen Zug von seiner Zigarette, ließ sie fallen und zertrat sie mit dem Absatz. »Ich muss wieder an die Arbeit.«
»Bewegen wir uns da auf gefährlichem Terrain?«
Flores warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ich weiß nicht, was Sie wollen, aber ich kann Ihnen jedenfalls nicht helfen.«
»Vielleicht hilft Ihnen das.« Bourne hielt ihm fünf Hundert-Dollar-Scheine hin.
»Madre de Dios!« Flores blies die Wangen auf und ließ die Luft langsam entweichen. Er blickte zu Bourne auf. »Was wollen Sie?«
»Nur eines«, sagte Bourne. »Maceo Encarnación ist heute früh hier weggeflogen. Wohin?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Bourne steckte ihm die Geldscheine in die Tasche des Overalls. »Ihre Frau und die Kinder können sicher neue Kleider gebrauchen.«
Flores blickte sich nervös um, obwohl niemand in Hörweite war und diejenigen, die zu sehen waren, sie nicht im Geringsten beachteten. »Ich könnte meinen Job verlieren … oder meinen Kopf. Was wird dann aus meiner Frau und meinen Kindern?«
Bourne ließ noch einmal fünfhundert Dollar folgen. »Mit ein paar iPads werden Sie zum Helden.«
Flores schwitzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sein Gesicht spiegelte den Kampf zwischen Gier und Angst wider. Er zögerte immer noch, und Bourne spielte seine letzte Karte aus.
»Anunciata hat mir gesagt, ich soll Sie fragen, wohin Encarnación geflogen ist.«
Flores’ Augen weiteten sich. »Sie hat …«
»Sie will, dass Sie es mir sagen.« Ein Jet wendete mit heulenden Triebwerken am Ende der Startbahn. Bourne machte einen Schritt auf ihn zu. »Es ist wichtig, Señor Flores. Es geht um Maria-Elenas Tod.«
Flores sah ihn schockiert an. »Wie meinen Sie das?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete Bourne, »und Sie wollen es auch nicht wissen.«
Flores leckte sich über die Lippen, blickte sich noch einmal um und nickte schließlich. Während der Jet über die Startbahn donnerte und abhob, beugte sich Flores vor und flüsterte Bourne ein Wort ins Ohr.
Martha Christiana nahm den Anruf von Maceo Encarnación mit eisiger Gelassenheit entgegen. Sein Flugzeug würde in einer Stunde landen, er würde einen seiner Männer schicken, um sie abzuholen, und dann war alles aus. Sie würde mitten in den Strudel geraten, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Sobald sie in sein Flugzeug stieg, würde sie im Gefängnis sitzen, das spürte sie genau. Sie wusste einfach zu viel über ihn. Er würde ihr nie mehr erlauben, ihn zu verlassen.
Vom Wohnzimmerfenster aus betrachtete sie sehnsüchtig das kunstvolle Strebewerk von Notre Dame, ihr beleuchteter Stein kalt wie Marmor. Es war mitten in der Nacht, doch sie war hellwach. Don Fernando nicht. Er schlief auf einer Seite des großen Betts, die Vorhänge zugezogen, um das Schlafzimmer gegen die Lichter und den Lärm der Stadt abzuschirmen.
Unter ihr, an der Westspitze der Île Saint-Louis, erhob sich jugendliches Gelächter, jemand spielte Gitarre, betrunkene Stimmen grölten ein Trinklied. Dann wieder Lachen, und plötzlich laute Stimmen, ein Handgemenge, jemand zertrümmerte eine Bierflasche.
Martha schaute nicht hinunter. Sie wollte nichts zu tun haben mit den hässlichen Dingen, die dort unten vielleicht vor sich gingen; sie hatte selbst genug Hässliches erlebt. Stattdessen ließ sie ihre Augen über die anmutigen Strebebögen der Kirche wandern, die wie Engelsharfen geschwungen waren. Sie war erschöpft, aber nicht schläfrig, ein normaler Zustand in ihrem Geschäft.
Wie so oft, wenn sie etwas Schönes betrachtete, dachte sie an ihre Zeit in Marrakesch, an all das Schöne, mit dem sich ihr Wohltäter, ihr Entführer und Lehrer, umgeben hatte. Er hatte ihr beigebracht, die Kunst zu schätzen, die Schönheit und Freude in sein Leben brachte. »Für mich gibt es sonst nichts« , hatte er einmal zu ihr gesagt. »Ohne Kunst, ohne das Schöne, wäre die Welt ein scheußlicher Ort und das Leben etwas Grauenhaftes.« An diese Worte hatte sie gedacht, als sie aus dem Gefängnis seiner Museumsvilla flüchtete. Auch später hatte sie oft daran gedacht, wenn sie wieder einmal jemanden getötet hatte, wenn sie ein Konzert oder eine Galerie besucht hatte oder in einem
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