Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
zum Nachbarn haben, Juden. Eilt einer der Beschäftigten den Anrainern zu Hilfe?
Alle Angestellten des Unternehmens sind bei der Deutschen Arbeitsfront, sie können es sich nicht aussuchen, das ist Pflicht. Nicht so der Beitritt zur Partei, der kann aber nicht schaden. Vom Oberfaktor bis zum Packer, von der Hilfskraft bis zum Abteilungsleiter sieht Wagner Mitarbeiter, die sich um eine Mitgliedschaft bei der NSDAP bemühen. Keiner ballt abwehrend die Faust oder hebt die Hand, es sei denn zum „Deutschen Gruß“.
Gestern noch mit den Verbotslisten des Ständestaats konfrontiert, nun NS-Buchhändler.
An die Spitze des NS-Gauverlags tritt SA-Standartenführer Kurt Schönwitz. Er kommt direkt aus dem Reichspresseamt Berlin. Als Leiter des
Hakenkreuzbanner
in Mannheim hat er Erfahrung gesammelt – und beim Eher Verlag.
Schönwitz und seine Handlanger. Ein Kulturjournalist der
Innsbrucker Nachrichten
erweist sich als Stütze: Karl Paulin. Er widmet der Wagner’schen Universitätsbuchhandlung im Auftrag der Firma einen Aufsatz zum 300-jährigen Bestehen.
Vom Tiroler Schrifttum und seinen Betreuern
lautet der Titel der Laudatio. In ihr ist viel von der bodenstämmigen Herkunft diverser Autoren die Rede, wenig über die künstlerische Bedeutung ihrer Arbeiten.
Doch die Geschäftsbücher sprechen eine klare Sprache. Die von Paulin zitierten Werke sorgen für Umsatz. Vor allem ein Buch erweist sich dabei als Renner in mehreren Auflagen. Für den Verkaufsschlager zeichnet Paulin selbst verantwortlich. Bereits 1933 hatte er die Sammlung
Die schönsten Sagen aus Tirol
herausgegeben. Darin findet sich die Geschichte eines Mitte des 15. Jahrhunderts angeblich begangenen Kindesmords –
Guarinoni, entfährt es Wagner. Plötzlich hat er die Stimme des Pfalzgrafen im Ohr. Er blickt zum Handelshaus May, zu dem er seinen Kindern unter Androhung von Prügeln den Zutritt verboten hat. Langsam zieht Wagner die Hände vor Gesicht. Ihm ist, als fänden sich noch Spuren von Druckerschwärze an seinen Fingern.
Kurz weiß Wagner nicht, wohin mit den Augen. Die Lettern fügen sich zu Geschichten, die er nicht lesen will. Zögerlich schlägt er eine Seite auf, sie zeigt die Museumstraße. Dort die beschmierten Schaufenster der jüdischen Geschäfte Graubart und Fuchs. Im anschließenden Haus die Wagner’sche Buchhandlung. In ihren Auslagen Büsten und Bilder des Führers. Das Buchsortiment beginnt bei A wie Adolf.
Rasch blättert Wagner weiter. Im
Anzeiger für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel
vom 28. März 1938 liest er:
„Der deutsche Buchhandel in Österreich begrüßt mit aufrichtiger Freude das Werden Großdeutschlands, das ihm eine bessere Zukunft eröffnet. Er tritt nunmehr in die Reihen der Kameraden des großen deutschen Vaterlandes, um mit ihnen als Vermittler echter deutscher Kultur zu arbeiten. Die Heimkehr ins Reich ist uns Freude und Verpflichtung zugleich. Wir wissen, daß im Reiche Adolf Hitlers dem Buchhandel ein großes Arbeitsfeld gegeben ist, das zu erfüllen unsere oberste Aufgabe ist. Eine neue Zeit ist angebrochen. Der Buchhandel in Österreich tritt in eine wohlgefügte Gemeinschaft ein, die unter nationalsozialistischer Führung berufen ist, ihm den Weg in eine bessere Zukunft zu zeigen. Heil Hitler!“
Unmittelbar nach dem Anschluss beginnt die „Säuberung“. Mehr als zwei Millionen Bände werden in Österreich aussortiert. Der
Anzeiger
gibt die Richtung vor, warnt „Berufskameraden“: Unkenntnis als Grund für ein weiteres Vorhandensein „unerwünschten Schrifttums“ schütze vor Strafe nicht. Parteigenossen in den Bundesländern werden zu Vertrauensleuten ernannt. Sie haben „die arischen buchhändlerischen Betriebe ihres Bereiches einwandfrei festzustellen.“ Fragebögen werden an die Buchhändler verteilt, eifrig zücken sie ihre Stifte.
Wagner steht in seiner Buchhandlung, um ihn ein Heer von flinken Händen, ein Buch nach dem anderen greifen sie sich. Er schaut zu Boden, Schattenarme zerschneiden den Belag, als Wagner wieder aufblickt, steht kein Joseph Roth mehr im Regal, keine Else Lasker-Schüler, kein Stefan Zweig. Dafür viel von Bruno Brehm, Hans Grimm und Mirko Jelusich. Und natürlich von Max Mell, Präsident des 1936 gegründeten Bundes deutscher Schriftsteller Österreichs. Perkonig gehört zu dem Verein, Springenschmid, Tumler, Waggerl, Weinheber – Auch das
Bekenntnisbuch österreichischer Dichter
sichtet Wagner im Sortiment. Als „Sänger des deutschen Heldentums“
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