Der Buddha aus der Vorstadt
dringend wir diese neue Gesellschaft brauchten. Anders als Terrys Clique, wollten diese Leute hier keine Macht. Das Problem sei, sagte Simon, wie man den Umsturz herbeiführen könne, nicht um die momentan Regierenden zu Fall zu bringen, sondern um das ganze Prinzip »Macht« zu stürzen.
Wenn ich zu Eva oder Eleanor ging, um dort zu schlafen, wünschte ich mir manchmal, daß ich bei Jamila und Changez bleiben könnte, weil in ihrem Haus die neuesten Ideen besprochen wurden. Doch die Probenarbeit war in vollem Gange, und Louise Lawrence hatte bisher ungefähr ein Drittel des Stücks in Szene setzen können. Bis zur Eröffnungsvorstellung waren es nur noch ein paar Wochen. Es gab noch unglaublich viel zu tun, und ich hatte Angst.
Kapitel fünfzehn
Es war während der Probe. Pyke trug seinen üblichen blauen Trainingsanzug, dessen enge Hose sich wie ein Kissenbezug an seinen Hintern schmiegte, während sich vorne bei jeder Bewegung sein kleiner Schwanz deutlich abzeichnete. Ich sah ihm zu und ahnte zum erstenmal, daß man mich ganz schön reingelegt hatte. Dieser Schwanz, mit dem er mich in den Hintern gefickt hatte, während Marlene uns anfeuerte, als wären wir zwei Catcher im Ring - und Eleanor sich einen Drink eingoß -, dieser Schwanz hatte mich innerlich regelrecht aufgerissen. Und jetzt, da war ich mir langsam sicher, verarschte mich dieser Arschficker schon wieder, bloß auf andere Weise. Aber diesmal würde ich besser aufpassen.
Ich beobachtete ihn genau. Pyke war ein guter Regisseur, da er andere Menschen auch dann noch mochte, wenn sie schwierig wurden. (Schwierige Menschen waren für ihn Rätsel, die es zu lösen galt.) Und Schauspieler mochten ihn, weil er wußte, daß sie den richtigen Dreh für eine Rolle von ganz allein finden konnten, wenn man ihnen die entsprechende Freiheit ließ. Das schmeichelte ihnen, und Schauspieler lieben Schmeicheleien. Pyke wurde nie wütend und drängte niemanden in eine Ecke, in die er nicht wollte; er manipulierte auf subtilere und effektivere Art. Trotzdem war dies für mich eine schlimme Zeit. Der Rest der Gruppe, besonders Carol, ärgerte sich oft über mich, weil ich langsamer und begriffsstutziger war als sie. »Karim erfüllt alle notwendigen Voraussetzungen für den Beruf eines Schauspielers«, sagte Carol. »Keine Technik, keine Erfahrung, kein Charisma.«
Pyke mußte jeden Satz und jede Zeile der ersten Szene mit mir durchgehen. Meine größte Angst war, daß Louise Lawrence und Pyke mir in der Endfassung des Stücks nur eine kleine Rolle zubilligen würden und daß ich wie ein Ersatzpimmel hinter der Bühne herumhängen würde. Doch als Louise das Stück ablieferte, war ich überrascht: Ich hatte eine Bombenrolle, und ich konnte es kaum erwarten, sie endlich zu spielen.
Die Schauspielerei ist eine verrückte Sache, sagte Pyke; du versuchst, das Publikum davon zu überzeugen, daß du jemand anderes bist, daß du dein Nicht-Ich bist. Das geht so: Wenn du eine Rolle spielst, wenn du Nicht-Ich bist, dann mußt du du selbst sein, das heißt, um dein Nicht-Ich in die Realität umzusetzen, mußt du dir die Kraft von deinem wahren Ich stehlen. Eine falsche Bewegung, ein falscher Ton, irgend etwas nur Vörgespieltes, und du fällst dem Publikum auf wie ein nackter Katholik in einer Moschee. Je stärker du dich mit der Rolle identifizierst, um so besser. Und das Paradox aller Paradoxe: Um glaubhaft jemand anders zu sein, mußt du du selbst sein! Und das lernte ich! Im Winter zogen wir nach Norden, tourten mit dem Stück durch Studiotheater und Bühnenvereine. Wir übernachteten in eiskalten Hotels, deren Besitzer ihre Gäste für kaum etwas Besseres als Einbrecher hielten, schliefen in unbeheizten Zimmern, die Toiletten am Ende des Flurs, in Häusern ohne Telefon, wo man sich weigerte, um acht Uhr Frühstück zu servieren. »Die Art, wie die Engländer schlafen und essen, wäre schon Grund genug, nach Italien auszuwandern«, sagte Eleanor jeden Morgen beim Frühstück. Für Carol zählte nur die Aufführung in London; der Norden war für sie Sibirien, die Menschen nichts als Tiere.
Ich spielte also einen Einwanderer, der gerade aus seinem kleinen indischen Dorf nach England gekommen war, und bestand darauf, mir mein Kostüm selbst aussuchen zu dürfen, denn ich hatte etwas Passendes gefunden: Ich trug weiße Stiefel mit Plateausohlen, weite, kirschfarbene Hosen, die wie Bonbonpapier an meinem Hintern klebten und mir um die Knöchel flatterten, und dazu ein
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