Der Buddha aus der Vorstadt
getüpfeltes Hemd mit breitem »Concorde«-Kragen, den ich über die Revers meiner Jacke schlug.
In dem Augenblick, als ich, furzend vor Furcht, zur ersten Vorstellung auf die Bühne kam, brach das Publikum, etwa zwanzig Leute, in Lachen aus; zuerst lachten sie noch etwas gehemmt, doch dann immer lauter, je mehr sie begriffen, wen ich darstellte. Ich machte einfach weiter, und mit der Zeit spornten mich diese Heiterkeitsausbrüche sogar noch an. Ich spielte einen jämmerlichen und komischen Tropf. Die anderen Schauspieler hatten die gewichtigen Passagen mit den vielsilbigen, politischen Analysen, mit Flammenwerferangriffen gegen kleinmütige Labour-Regierungen, doch mich schloß das Publikum ins Herz. Ich riß Witze über die ehrgeizigen Sex-Fantasien der Inder und die entwürdigenden Szenen, die sie in England erleben. Allerdings hatte ich meine längeren Auftritte zusammen mit Carol, und die sah mich nach der ersten Voraufführung auch auf der Bühne nicht mehr besonders freundlich an. Nach der dritten Vorstellung schrie sie dann plötzlich in der Garderobe: »Ich kann mit diesem Typen nicht spielen - das ist ein Idiot, kein Schauspieler!« Und sie lief aus dem Zimmer, um Pyke in London anzurufen.
Matthew war erst an diesem Nachmittag nach London zurückgefahren. Er fuhr die ganze Strecke von Manchester nach London, bloß um mit einer fantastischen Rechtsanwältin, einer Verteidigerin von Bombenlegern und Freiheitskämpfern, zu schlafen. »Das ist eine einmalige Gelegenheit, Karim«, erzählte er mir. »Schließlich kenn ich mich bei der Polizei schon aus, aber ich will das Gesetz selbst, diese Säule unserer Gesellschaft, neben mir liegen haben, auf meinen eigenen Kissen.« Und er raste los und überließ uns dem Publikum und dem Regen.
Vielleicht lag Pyke gerade im Bett und redete über das Schicksal der »Acht von Bradford« oder der »Sechs von Leeds«, als Carol anrief. Ich malte mir aus, wie sorgfältig er das Liebesspiel mit der Rechtsanwältin arrangiert haben würde; bestimmt hatte er an alles gedacht - Champagner, Hasch, Blumen - um sicherzugehen, daß sie ihn in bester und leidenschaftlicher Erinnerung behielt. Und jetzt versuchte Carol ihn am Telefon zu überzeugen, daß ich offenbar glaubte, in einem anderen Stück als alle anderen zu spielen, wahrscheinlich in einer Komödie. Doch wie die meisten talentierten Menschen, die Erfolg beim Publikum haben, hatte Pyke auch eine volksnahe Seite. Er ergriff für mich Partei. »Karim ist die Schlüsselfigur in dem Stück«, sagte er zu Carol.
Als wir nach Aufführungen in zehn Städten zurück nach London kamen, begannen wir erneut mit den Proben und der Vorbereitung für die Voraufführungen an einer kleinen Schaubühne in Westlondon, ganz in der Nähe von Evas Wohnung. Die Schaubühne war gerade in\ hier wurden die neuesten internationalen Tanznummern, Bildhauerarbeiten, Filme und Theaterstücke gezeigt. Das Theater wurde von zwei hochsensiblen Ästheten geführt, die einen so puren und strengen Geschmack in Fragen der Kunst hatten, daß Pyke im Vergleich zu ihnen wie ein Anhänger des Rokoko wirkte. Ich saß mit ihnen im Restaurant, aß Bohnenschößlinge und hörte zu, wie sie sich über den New Dance und eine innovative Tanzform, genannt Performance, unterhielten. Ich sah mir so eine Performance an. Ein Mann in einem Overall zog an einem Bindfaden ein Stück Camembert über eine riesige Bühne. Im Hintergrund spielten zwei schwarzgekleidete Jünglinge Gitarre. Das Ganze hieß »Cheesepiece«. Anschließend hörte ich jemanden sagen:
»Mir gefiel die Originalität des Bildes.« Das war sehr lehrreich. Ich hatte noch nie so gehässige Kommentare über Dinge gehört, die ich bisher kaum beachtet hatte. Für die beiden Ästheten war, ähnlich wie für Pyke (nur noch in viel schlimmerem Maße), das Spiel eines Schauspielers oder die besondere Begabung eines Autors, dessen Stücke ich mit Eleanor gesehen hatte und den wir für »vielversprechend« oder »ein bißchen fad« hielten, so wichtig wie ein Erdbeben oder eine Heirat. »Die sollen an Krebs krepieren«, verwünschten sie diese Autoren. Ich dachte, sie träfen sich deshalb mit Pyke, um über Stanislawski und Artaud zu diskutieren, aber sie und Pyke haßten sich bis aufs Blut. Die zwei Ästheten erwähnten den Mann, dessen Stück in ihrem Theater geprobt wurde, höchstens in Anspielungen wie »dieser Typ, der seine Jeans bügelt«, oder sie nannten ihn Caliban. Begleitet wurden die beiden von einem
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