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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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anderem?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte in ihrer Nähe bleiben. Ich mag es, wenn ich höre, wie sie im Zimmer auf und ab geht. Mir sind alle ihre Geräusche vertraut. Mir gefällt es, wenn ich weiß, was sie macht, daß sie sich hinsetzt oder daß sie liest.«
    »Weißt du, Changez, Liebe kann manchmal der Dummheit sehr nahe kommen.«
    »Liebe ist Liebe, und die ist ewig. Ihr im Westen kennt keine romantische Liebe mehr. Ihr singt nur noch im Radio davon. Richtig lieben kann hier niemand mehr.«
    »Was ist mit Eva und Dad?« konterte ich unbekümmert. »Das ist doch die wahre romantische Liebe, oder etwa nicht?«
    »Das ist Ehebruch. Das ist das Böse selbst.«
    »Ach so.«
    Ich war froh, daß Changez so gut gelaunt war. Er schien glücklich der Lethargie entronnen zu sein und ein neues Leben beginnen zu wollen, ein Leben, von dem ich nie erwartet hätte, daß es ihm gefallen würde.
    Als wir durch die Straßen schlenderten, sah ich, wie verfallen und verkommen dieser Teil der Stadt - Südlondon - im Vergleich mit dem London wirkte, in dem ich lebte. Hier zogen die Arbeitslosen die Straße auf und ab, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten, Männer in dreckigen Mänteln und Frauen in ausgetretenen Schuhen ohne Strümpfe. Während wir spazierengingen und uns umsahen, erzählte Changez, wie sehr er die Engländer mochte, wie freundlich und rücksichtsvoll sie seien. »Sie sind wahre Gentlemen. Besonders die Frauen. Sie versuchen nicht ständig, einen niederzumachen, ganz anders als die Inder.«
    Sie hatten eine ungesunde Gesichtsfarbe, diese Gentlemen, ihre Haut war grau. Die Reihenhaussiedlungen wirkten wie provisorische Gefangenenlager, Hunde streunten umher, der Wind blies Abfall durch die Straßen, überall waren Graffiti zu sehen. Man hatte kleine Bäume angepflanzt und sie mit schützendem Maschendraht umwickelt, aber bei den meisten Bäumen waren die Äste abgebrochen. Die Läden verkauften nur unzulängliche und schlecht verarbeitete Kleider. Überall sah es billig und schäbig aus, erst recht dort, wo man versucht hatte, besonders modern und schick
    zu sein. Changez mußte das gleiche wie ich gedacht haben, denn er sagte: »Vielleicht fühle ich mich hier zu Hause, weil es mich so sehr an Kalkutta erinnert.«
    Als ich sagte, es sei Zeit zurückzukehren, änderte sich Changez’ Stimmung. Aus einer trübsinnigen Laune wechselte er beinahe schlagartig in einen aggressiven, geschäftsmäßigen Ton über, als hätte er sich von vornherein zurechtgelegt, was er sagen wollte, und glaubte jetzt den richtigen Zeitpunkt dafür gekommen.
    »Sag, Karim, du nimmst mein Leben nicht als Vorlage für deine Rolle, oder?«
    »Nein, Changez. Habe ich dir doch schon gesagt.«
    »Ja, du hast mir dein Ehrenwort gegeben.«
    »Hab ich, okay?«
    Er dachte einige Sekunden lang nach. »Aber was bedeutet es eigentlich, dein Ehrenwort?«
    »Alles, Mann, gottverdammt alles. Du liebe Scheiße, Changez, meinst du nicht, daß du langsam verflucht selbstgerecht wirst?«
    Er sah mich mit finsterem Blick an, als ob er mir kein Wort glaubte, das Arschloch, und watschelte davon.
    Ein paar Tage später, als die Voraufführungen von unserem Stück in London bereits liefen, rief Jamila mich an, um mir zu sagen, daß Changez unter einer Eisenbahnbrücke angegriffen worden sei, als er von einem Treffen mit Shinko kam. Es war ein typischer Südlondoner Winterabend gewesen - still, dunkel, kalt, nebelig, feucht -, als diese Bande über Changez herfiel und ihn als Paki beschimpfte, ohne zu merken, daß er Inder war. Sie bearbeiteten ihn mit Fußtritten und ritzten ihm mit einer Rasierklinge die Initialen der National Front auf den Bauch. Erst als Changez die Sirene seines moslemischen Kriegsschreis anwarf, die man bis Buenos Aires hätte hören können, ergriffen sie die Flucht. Natürlich stünde er unter Schock, sei völlig verschreckt und durcheinander, sagte Jamila, doch er habe allzu bald die Freundlichkeit schamlos ausgenützt, die man ihm entgegenbrachte. Sophie servierte ihm seitdem das Frühstück ans Bett, und er war von mehreren Koch- und Abwaschpflichten entbunden worden. Die Polizei, die von Changez langsam die Nase voll hatte, meinte, wahrscheinlich habe er sich unter die Eisenbahnbrücke gelegt und sich die Wunde selbst beigebracht, um ein schlechtes Licht auf die Hüter des Gesetzes zu werfen.
    Dieser Überfall auf Changez machte mich wütend, und ich fragte Jamila, ob ich irgendwie helfen könne. Ja, meinte sie, diese

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