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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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dem Fenster.
    Changez und Jamila saßen nicht beisammen, und obwohl ich nur darauf wartete, daß sie sich ansahen, kann ich bezeugen, daß nicht ein einziger, verstohlener Blick zwischen den zukünftigen Bettgenossen ausgetauscht wurde. Was würde Changez von seiner Frau halten, wenn er sie schließlich doch ansah? Die Tage der hautengen Blusen und der Miniröcke waren vorbei. Jamila trug ein sackähnliches Etwas: lange Röcke, etwa drei übereinander, und ein langes Hemd in verschossenem Grün, unter dem die flachen Rundungen ihrer BH-losen Brüste für den, der sich dafür interessierte, zu sehen waren. Außerdem hatte sie ihre übliche Krankenkassenbrille auf und trug an ihren Füßen ein Paar ziemlich unnachgiebig aussehender derber, brauner Gesundheitsschuhe, die den Eindruck erweckten, als wolle sie gleich zu einer Bergwanderung aufbrechen. Sie war völlig vernarrt in diese Klamotten; sie war froh, daß sie eine Kluft gefunden hatte, die sie jeden Tag tragen konnte, weil sie, wie ein chinesischer Bauer, am liebsten nie mehr darüber nachdenken wollte, was sie anziehen sollte. Eine derart einfache Idee, die so typisch für die nicht besonders eitle Jamila war, hielten andere Menschen für exzentrisch - mich brachte sie zum Lachen. Der einzige Mensch, dem das alles nicht exzentrisch vorkam, weil er es gar nicht bemerkte, war ihr Vater. Er wußte wirklich ziemlich wenig über Jamila. Wenn ihn jemand gefragt hätte, was für eine Partei sie wählte, wie ihre Freundinnen hießen, was sie sich von ihrem Leben erwartete, hätte er nicht antworten können. Fast schien es, als sei es auf eine seltsame Art unter seiner Würde, sich für sie zu interessieren. Er nahm sie nicht wahr. Diese Frau, die seine Tochter war, hatte sich einfach nur auf ganz bestimmte Weise zu verhalten.
    Endlich erschienen vier weitere Verwandte von Anwar und brachten noch mehr zu essen und trinken mit. Sie schenkten Kleider und Töpfe, und einer der Männer bedachte Jamila mit einer Perücke. Changez überreichte man einen Kranz aus Sandelholz. Bald ging es laut, lebhaft und geschäftig zu.
    Anwar freundete sich mit Changez an. Er schien überhaupt nicht von ihm enttäuscht zu sein; ständig lächelte er ihn an, nickte ihm zu und berührte ihn. Es dauerte eine Weile, bis Anwar bemerkte, daß sein heißersehnter Schwiegersohn körperlich keineswegs das imponierende Musterexemplar war, das er erwartet hatte. Sie unterhielten sich nicht auf Englisch, deshalb war ich mir nicht sicher, was sie sagten, aber nach einem Blick, dem zur näheren Überprüfung, zwecks besseren Blickwinkels, ein Schritt zur Seite folgte, zeigte Anwar besorgt auf Changez’ Arm.
    Changez ließ die Hand ein wenig schlenkern und grinste ganz ungeniert; Anwar versuchte auch zu lachen. Changez’ linker Arm war eigenartig verkümmert , und am Ende dieses dürren Gliedes stak wie ein harter, golfballgroßer Fleischklumpen eine kleine Faust, aus deren kompakter Masse sich statt der flinken, Laden-streichenden, Kisten-tragenden Finger nur ein winziger Daumen emporreckte. Es sah aus, als hätte Changez seine Hand ins Feuer gehalten, und als wären ihm Fleisch, Knochen und Sehnen zusammengeschmolzen. Ich kannte zwar einen ausgezeichneten Klempner, der für Onkel Ted arbeitete und statt der einen Hand nur einen Stummel hatte, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie Changez Anwars Laden mit dem einen Arm tapezieren wollte. Andererseits bezweifelte ich sowieso, daß er, selbst wenn er vier Muhammad-Ali-Arme gehabt hätte, wußte, wozu man eine Tapezierbürste oder auch nur eine Zahnbürste gebrauchte.
    Auch wenn Anwar jetzt vielleicht Grund hatte, gegenüber Changez etwas reserviert zu sein (Changez war von Anwar allerdings offenbar begeistert und lachte über alles, was Anwar sagte, selbst wenn der es ernst gemeint hatte), so war dies mit Jamilas Abneigung überhaupt nicht zu vergleichen. Hatte Changez eigentlich eine Vorstellung davon, mit welchem Widerwillen seine zukünftige Braut - die gerade ans Bücherregal ging, ein Buch von Kate Millett in die Hand nahm, einige Minuten lang hineinstarrte und es nach einem vorwurfsvollen und mitleidigen Blick ihrer Mutter zurückstellte - ihm das Jawort geben würde?
    Jamila hatte mich an dem Tag, nachdem Helen und ich im Anerley Park miteinander gevögelt hatten, angerufen, um mir von ihrer Entscheidung zu erzählen. Ich war an jenem Morgen so begeistert über meinen Triumph, die Hundebesitzerstochter verführt zu haben, daß ich

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