Der Bund der Drachenlanze - 11 Tina Daniell
Pflanzen
trieben an ihm vorbei.
Das Stöhnen und Schreien wurde lauter. Dann folgte ein
Knall und splitternde Geräusche, als wenn… Ja, was? Es
klang, als würde ein Schiff auflaufen, als würde Holz brechen, als würde etwas auf einem unerkannten Riff Leck
schlagen. Der chaotische Lärm schwoll wie durch ein geisterhaftes Echo an und wieder ab.
Regentropfen mischten sich in den Dunst und prasselten
auf ihre Gesichter herab. Die Wellen legten sich, so daß die
See unheimlich ruhig wurde. Sie waren von geisterhafter,
grauweißer Leere umgeben.
»Was kannst du sehen?« fragte Caramon mit rauher, brüchiger Stimme.
»Nichts«, erwiderte Sturm. »Und du?«
»Weniger als nichts.«
Plötzlich ragte eine große Masse, eine beeindruckende
Ansammlung von Umrissen, vor ihnen aus dem Dunst.
Einen Augenblick geriet Caramon in Panik, weil er glaubte,
ein gewaltiges Seeungeheuer würde sich auf sie stürzen.
Dann klärte sich sein Blick ein wenig, und trotz seiner Erschöp fu ng erkannte er, daß die Masse in Wirklichkeit aus
einer Reihe Wracks und verstreuten Überresten von Schiffen bestand. Es knarrte, als die Wracks durch das eigentümlich ruhige Wasser glitten.
Die verfaulenden Schi ff e waren ekelhaft weiß wie der
Bauch eines toten Fisches und von klaffenden Löchern übersät. Ihr Holz war voller Blut- und Rostflecken und von
gelbgrünem Schleim überzogen. Merkwürdige Muscheln
und Meerestiere hingen an den Seiten. An den Masten flatterten zerfetzte Segel. Der Wind stöhnte durch die Takelage. Es erschien unmöglich, daß diese Schiffe noch
schwammen.
»Sieh nur!« rief Caramon.
Ein dunkler Schatten glitt auf sie zu, das größte Schiff der
leckgeschlagenen Flotte. Am Bug stand eine einzelne, verhüllte Gestalt. Drei Leichen ba u melten leise schaukelnd an
einem hohen Mast. Als sich das Schiff auf ein Dutzend Fuß
genähert hatte, drehte sich die Gestalt mit der Kapuze um
und neigte den Kopf, als ob sie sie beobachten würde.
Der Kapuzenmann zeigte auf Sturm und Caramon. Das
Phantomschiff war so nah gekommen, daß Caramon die
feuerroten Augen in den schwarzen Höhlen seines konturlosen Gesichts sehen konnte. Mit seinem knochigen Finger
winkte der vermummte Geist – denn ein Geist mußte das
Wesen einfach sein, dachte Caramon.
Das Schiff fuhr so nahe heran, daß die beiden ausgesetzten Freunde hätten hochgreifen und es berühren können,
wenn sie die Arme dazu frei gehabt hätten. Einzelne, verrottete Planken ragten aus der Seite heraus. Caramon mußte fest treten, um nicht von einem von ihnen getroffen zu
werden.
Während das Schiff vorbeifuhr, brachen Stücke von ihm
ab und krachten aufs Deck oder platschten ins Wasser. Der
vermummte Geist rührte sich nicht, doch seine Augen folgten ihnen. Caramon fühlte den furchtbaren Blick auf sich
und Sturm lasten.
So plötzlich wie sie gekommen war, verschwand die
Geisterflotte wieder im Dunst. Durch ihren Abzug wurde
das brackige Wasser um Sturm und Caramon aufgewühlt,
und der Wind frischte auf und steigerte sich schnell zum
Sturm. Eine starke Strömung zog an Caramons Beinen.
Wellen brachen über ihnen zusammen und füllten Mund
und Nase mit Wasser. Der merkwürdige Strudel zog sie
nach unten.
Mit einer letzten Kraftanstrengung schlug Caramon mit
den Beinen, um sich über Wasser zu halten. Als er nach
Luft schnappte, bemerkte er, daß sein Freund noch
schlimmer dran war. Sturm hing tief im Salzwasser, so daß
seine Lungen fast barsten. Caramon gab sich Mühe, Sturm
nach Kräften hochzuhieven, während er gegen den enormen Sog der See ankämpfte.
Sturms Kraft war verbraucht, doch der Solamnier geriet
nicht in Panik. Er bedauerte seinen Tod, doch die See hatte
sich als würdiger Gegner erwiesen. Der Tod bot eine willkommene Zuflucht. Er fühlte, wie die Wellen sich gewiß
zum letzten Mal über seinem Kopf trafen, als der Wirbel
plötzlich nachließ und die See sich beruhigte.
Sturm und Caramon kamen hustend an die Oberfläche.
Immer noch wogte das Meer um sie her, doch es war weniger bedrohlich. Um sie herum lag wieder Nebel. Die beiden
Gefährten klammerten sich, so gut sie konnten, an den
Mast, der sie sowohl gefangen, als auch an der Oberfläche
hielt. Der halbertrunkene Sturm war kaum noch bei Bewußtsein. Der erschöpfte Caramon kämpfte gegen das Bedürfnis einzuschlafen an.
Irgendwie hielten sie durch. Am Morgen des fünften Tages waren die zwei jungen Männer am Rande der Verzweiflung. Schorf bedeckte ihre Lippen. Ihre
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