Der Bund der Drachenlanze - 12 Tina Daniell
sein Mund so
an, als wäre er voller Federn. Als er nach dem Messer an
seinem Gürtel greifen wollte, merkte er, daß er die Arme
nicht bewegen konnte, denn sie waren an seine Seiten gedrückt. Scharfe Krallen piekten in seinen Hals.
Erstickte Geräusche von außerhalb seines Federkokons
verrieten ihm, daß die anderen in derselben prekären Lage
steckten. Plötzlich erklang über seinem Kopf eine klare,
melodische Stimme, die in der Gemeinsprache sagte: »Das
sind keine Stiermenschen. Sie sind mehr wie du und dein
Freund.«
Der Federkokon ging auf, und eine Fackel vor Tanis’ Gesicht blendete den Halbelfen kurzfristig. Tanis sah sich in
einer kraftvollen Umarmung gefangen.
»Tanis, der Halbelf! Ich wußte nicht, ob ich dich je wiedersehen würde. Und Raistlin, mein Bruder!«
Jetzt war der Magier an der Reihe, sich in Caramons feste
Arme schließen zu lassen.
Raistlin lächelte breit. »Wir haben erwartet, einen Gefangenen zu finden, Bruder, keinen Häscher«, meinte der junge Zauberer. »Aber wie ich Tanis schon sagte, ich habe damit gerechnet, daß wir dich irgendwie wiederfinden würden – am Leben und wohlauf.«
Die Zwillinge standen Seite an Seite. Caramon hatte seinen starken Arm um die schmalen Schultern seines Bruders
gelegt. Im flackernden Licht der einzelnen Fackel staunte
Tanis nicht zum ersten Mal, wie die Majerezwillinge
zugleich so ähnlich und doch so verschieden sein konnten.
In diesem Augenblick wurde der Unterschied von dem federbesetzten Lederriemen verstärkt, den Caramon um den
Kopf trug. Dazu die Federn, die aus seinen Schultern zu
sprießen schienen, aber zweifellos nur an seine Tunika genäht waren.
Als er sich im flackernden Fackelschein umsah, kam es
Tanis so vor, als ob denen, die Caramon begleiteten, auch
Federn wuchsen. Tanis blinzelte. Der Halbelf war sich nicht
ganz sicher, aber diese großen Wesen – sie waren mindestens einen Kopf größer als Caramon, und der war schon
über sechs Fuß groß – schienen statt Armen Flügel zu haben!
Flint, der zu ihm trat, blickte die Neuankömmlinge
mißtrauisch an und stellte die naheliegende Frage: »Willst
du uns nicht deinen Freunden vorstellen oder ihnen wenigstens sagen, daß sie uns nicht als Feinde anzusehen
brauchen?« fragte der Zwerg Caramon mit einem nervösen
Blick auf die gefiederten Wesen.
Caramon grinste breit. »Ich bitte um Verzeihung. Aber
ihr braucht keine Angst zu haben.« Er zeigte auf das halbe
Dutzend Wesen, die mit ihm eingetroffen waren – die nämlich ihn und Sturm durch die Luft getragen hatten. »Das
sind meine Freunde, die Kyrie, ein edles Volk und eingeschworene Feinde der Minotauren. Sie haben Sturm und
mich aus dem Kerker gerettet, als wir auf der Insel Mithas
eingesperrt waren.«
Er drehte sich etwas und zeigte auf den Kyrie neben
Raistlin.
»Wolkenstürmer, das sind mein Bruder Raistlin und
meine Freunde, Flint Feuerschmied und Tanis, der Halbelf,
aus Solace. Die Frauen kenne ich nicht«, fügte Caramon
hinzu. Er warf einen kritischen Blick auf Kirsig und dann
einen ausgesprochen anerkennenden Blick auf Yuril und
ihre Matrosinnen. »Auch wenn ich mich darauf freue, sie
kennenzulernen«, endete er mit einem deutlichen Zwinkern an die statuenhafte Yuril. Sie erwiderte die Geste
nicht, kehrte sich aber auch nicht ab.
»Wo ist denn Sturm?« fragte Flint, der nicht bereit war,
seine lebenslange Skepsis bezüglich merkwürdiger Rassen
einfach so fallenzulassen, bloß weil Caramon es sagte.
»Und, auch wenn ich gar nicht sicher bin, ob ich das wirklich wissen will, was ist mit Tolpan?«
»Ich bin hier«, kam eine rauhe Stimme von außerhalb der
Reichweite der Fackel. Der Kyrie, Vogelgeist, trat beiseite,
um den Blick auf Sturm freizugeben, der sich gerade aufrappelte. Zu seiner großen Beschämung war der Solamnier
kurz nach der Landung der Kyrie im Lager der Freunde
ohnmächtig geworden. Seit seiner Rettung aus der Grube
des Untergangs waren erst eineinhalb Tage vergangen.
Sturm hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich von all
dem zu erholen, was er durchgemacht hatte – schiffbrüchig, eingesperrt, geschlagen und im Duell fast getötet. Er
hinkte zu ihnen.
Flint starrte ihn an. In dem schwachen Licht sah Sturms
Gesicht eigenartig schief aus. »Was hast du denn mit deinem Schnurrbart gemacht?« fragte der Zwerg ungläubig.
»Ach was, Schnurrbart. Siehst du denn nicht, daß es dem
armen Kerl schlecht geht?« schalt Kirsig, die an Sturms Seite eilte. »Komm her, Süßer, laß
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