Der Bund der Illusionisten 1
spürte.
» Nein. Nein, so zu empfinden, ist wundersam. Aber dem nachzugeben? Es wird Pinar verletzen, es wird Korden wütend machen⦠und einige andere ebenso. Und doch kann ich nicht anders. Ich will es nicht einmal versuchen.«
Ich hörte seine Sehnsucht und erschauerte. Es schmerzte. Eine Jägerin sollte ihre Beute nicht lieben.
Eine solche Liebe kann einen entwaffnen.
Wir wurden bejubelt, als wir auf das Labyrinth zuritten. Menschen strömten aus den Häusern und hieÃen ihren Illusionisten willkommen, klatschten und winkten und lachten. Weit entfernt davon, den Jubel als etwas anzusehen, das ihm zustand, wirkte Temellin aufrichtig bewegt und nicht wenig verlegen. Und doch war da eine natürliche Königswürde um ihn. Er zog sein Schwert und reckte es über den Kopf, damit alle es sahen, und der Jubel verstärkte sich sogar noch. Tränen standen in seinen Augen, als wir in den Hof des Labyrinths ritten.
Er war jetzt beschäftigt, begrüÃte Leute, organisierte, sprach. Er bat Garis, sich um mich zu kümmern, und auch um Brand, was der Junge nur zu glücklich tat. Es war Garis, der uns in das Gebäude führte und dabei sagte: » Du wirst Temellin in den nächsten paar Tagen nicht viel zu sehen bekommen, Derya.« Er warf einen Blick auf Brand und senkte die Stimme. » Jetzt, da er das Schwert zurückhat, muss er sich um einige Babys kümmern.«
Er war indiskret, mindestens, und ich wurde daran erinnert, dass er immer noch kaum mehr als ein Jugendlicher war, dem es schlagartig an Vorsicht mangeln konnte, wenn er jemanden beeindrucken wollte. Wie auch immer, ich war zu beschäftigt, um über das nachzudenken, was er gesagt hatte. Ich versuchte, irgendwie aus dem Gebäude und der Möblierung schlau zu werden, eine schwere Aufgabe angesichts meiner absurden Umgebung.
» War der Architekt vielleicht betrunken?«, überlegte Brand.
» Und der Steinmetz war blind«, sagte ich. Treppen endeten vor nackten Mauern, Gänge führten ins Nichts, Brücken überspannten hohe Räume. Einige Zimmer hatten keinerlei Möbel, während in anderen sogar die Holzstühle so massiv waren, dass man vier kräftige Männer benötigt hätte, um auch nur einen hochzuheben. Ich sah leere Bücherregale, die durch die Luft schwebten, und Feuer, die brannten, ohne irgendetwas zu verzehrenâ in Feuerstellen, die aus allem Möglichen bestanden, angefangen von Fischgräten bis hin zu Schmiedehämmern.
Etliche Leute waren hier: einfache Karden, die die niederen Tätigkeiten verrichteten, wie auch Magori aller Ränge. Und überall wuselten Magoroth-Kinder herum; sie lachten und spielten oder wurden von ihren Magori-Lehrern zum Unterricht geführt. In einem Gang, durch den wir kamen, war mit Kreide ein raffiniertes Hüpfspiel auf den Boden gemalt, wenngleich es in diesem Moment von niemandem gespielt wurde.
Anfangs machte mir die Ungezwungenheit zu schaffen. Dieses Gebäude sollte den Mann beherbergen, der beanspruchte, der rechtmäÃige Herrscher von ganz Kardiastan zu sein; wieso ähnelte die Atmosphäre dann eher einer Kirmes auf dem Land als der Residenz eines Monarchen? Ich dachte an den Palast des Exaltarchen in Tyr mit seinen üppigen Verzierungen, den uniformierten Wachen überall und den starren Regeln der Etikette und des Protokolls, die für einen Herrscher allesamt geeigneter gewesen wären als diese fröhliche Ungezwungenheit. Und dann erinnerte ich mich schuldbewusst daran, dass ich diese marmorierten Zimmer in Tyr als erdrückend empfunden hatte. Tatsächlich hatte ich den Palast gehasst. Ich hatte die kühle Atmosphäre gehasst, den leichten Hauch des Unbehagens, der ihn wie ein unsichtbarer Nebel durchdrangâ die Begleiterscheinungen absoluter Macht. Ich hatte es gehasst, meine Knie vor Bator Korbus zu beugen und den Saum seines Gewandes zu berühren.
Verdammt, meine Gedanken waren ebenso durcheinander wie meine Gefühle. Ich konnte nicht einmal mehr sicher sein, an was ich glaubte. Ich war von zu viel Bizarrem umgeben. Und ich hatte nicht genügend Zeit gehabt, all das zu bedenken, was ich durch meinen Kontakt mit den Illusionierern erfahren hatte.
Nach einem verwirrenden zehnminütigen Marsch fand Garis für Brand ein Zimmer, das nah bei seinem war, und dann ein anderes für mich. » Die Räume des Illusionisten sind gleich am Ende der Treppe da«,
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