Der Bund der Illusionisten 1
zersetzenden Abscheu wegzukommen.
Etwas später, als wir die Verheerung hinter uns gelassen hatten und wieder langsamer im Schritttempo ritten, fragte ich Temellin, ob die Magori die Illusion verlassen würden, wenn sie die Möglichkeit hätten, wieder in Kardiastan zu leben.
Er nickte. » Oh ja. Das hier ist nie mehr gewesen als ein vorübergehender Zufluchtsort; er gehört uns nicht. Ich bin sicher, dass ein dauerhafter Aufenthalt in der Illusion nie Teil des Handels zwischen meinem Onkel und den Illusionierern war.« Er sah mich an. Sein Blick war weich, und ich spürte als Antwort eine Woge von Gefühlen in mir aufsteigen. Es kam mir in den Sinn, dass ich Temellin in so kurzer Zeit schon überraschend gut kennengelernt hatte. Ich wusste, wie viel Schmerz er hinter seinem fröhlichen ÃuÃeren verbarg; ich spürte, wie viel innere Unsicherheit, wie viel Wut über die Ungerechtigkeiten in ihm waren. Ein Teil von mir wollte ihm helfen, diese Bürde zu tragen. Entsetzt versuchte ich mich wieder daran zu erinnern, dass ich die Pflicht hatte, ihn zu töten.
Keiner dieser Gedanken bereitete mir irgendwie Freude.
Kurz darauf sagte Temellin: » Sieh malâ die Illusionsstadt ist zu sehen.«
Er deutete voraus, und ich sah, wie Gebäude aus der Ebene aufragten, als wären sie ein Haufen schlecht gestapelter Schüsseln und Becher. Sie lehnten aneinander, berührten sich gelegentlich hoch oben, wurden manchmal auch von schiefen überdachten Brücken oder Gehwegen voneinander getrennt. Es war eine Stadt voller schmaler, gewundener StraÃen und Wendeltreppen, voller Hintergassen, die wie dahinkriechende Raupen absackten und sich aufwölbten, mit Nischen und Höhlen, die mit Farnen und Blumen bepflanzt waren. Es gab keinerlei Symmetrie, keinen Plan. Hier war alles so unvorhersehbar wie in der Natur.
» Wie findet ihr euch hier nur zurecht?«, fragte ich etwas später, als wir uns durch dieses Durcheinander aus StraÃen und betrunkenen Gebäuden wanden.
» Mehr mit Glück als allem anderen«, sagte er mit einem Grinsen. » Und vergiss nicht, die Dinge können sich über Nacht ändern. Eine gerade StraÃe kann plötzlich so viele Biegungen entwickeln wie ein Slecz Gelenke am Fressarm, oder eine HauptstraÃe verwandelt sich in einen Fluss. Einmal hatten wir eine ziemlich schreckliche Woche, in der wir nur noch mit Booten irgendwohin kamen, weil es überall nur noch Kanäle gab; glücklicherweise wurden die Illusionierer diese Veränderung sehr schnell leid.«
» Wohin bringst du mich?«
» Die Magoroth leben alle in einem Gebäude, das wir das Labyrinth nennen. Er enthält beliebig viele Wohnungen sowie Unterkünfte für die Bediensteten oder Kinderhorteâ alles, was wir brauchen. Wir werden einen Platz für dich finden, wo du erst einmal bleiben kannst. Allerdings fürchte ich, dass Korden und Pinar verlangen werden, dass ihr beideâ du und Brandâ unter Bewachung gestellt werdet.«
Ich zügelte mein Reittier. » Werde ich dich überhaupt ab und zu sehen?« Es war gespielt. Ein bisschen Flehen, um ihm meine Vertrauenswürdigkeit zu zeigen. Um ihn glauben zu lassen, dass Derya sich vielleicht in ihn verliebt hatte. Und doch war es nicht nur eine Täuschung. Noch während ich die Worte sprach, wusste ich, dass ich ihn wiedersehen wollte. Zum Vortex, dachte ich, wieso zur Göttin muss er nur so verdammt gut aussehen?
Er blieb neben mir stehen. » Ichâ Cabochon hilf, Deryaâ ich glaube nicht, dass ich mich von dir fernhalten kann. Aber ich habe Pinar versprochen, dass sie nicht mehr sehr lange warten muss; sie ist fast fünfunddreiÃig. Wenn sie Kinder haben will, sollten wir uns bald zusammentun, und sie will dafür verheiratet sein.«
Sein Gesicht war so angespannt, seine Stimme so angestrengt, dass ich es nicht ertragen konnte, ihn anzusehen. Ich wusste, ohne dass er es sagte, dass er seiner Frau treu bleiben würde, wenn er erst einmal verheiratet war, ob sie nun ein mörderisches Miststück war oder nicht. » Vielleicht wäre es besser, wenn wir beide, du und ich, nicht im selben Gebäude wohnen würden«, sagte ich.
» Vielleichtâ später. Nicht jetzt, noch nicht. Bitte, Derya. Noch nicht.«
» Es ist keine Schwäche, so zu empfinden«, erklärte ich ihm. Irgendwie ärgerte mich die Scham, die ich in ihm
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