Der Bund der Illusionisten 1
ähnelte den Emotionen eines hungrigen Hundes, dem man ein Stück rohes Fleisch hinhielt. Hätte er die Möglichkeit gehabt, er hätte sie verschlungen.
Als dann die nächste Frage kam, drehte sie die Hand herum und richtete sie auf, was bedeutete, dass er gelogen hatte.
Sie schickten ihn aufgrund ihrer Aussage in die Käfige, während sie weiter nach Beweisen suchten. Er erkrankte und starb innerhalb eines Monats, und der Fall wurde zu den Akten gelegt. Ligea wusste, dass sie ihn genauso wirksam ermordet hatte, als hätte sie ihm ein Messer ins Herz gestoÃen. Sie hatte gelogen und ihren ersten Menschen getötet.
Schlimmer noch, ich hatte nie die geringsten Gewissensbisse verspürt. Vielleicht bei anderen, die danach kamen, die aus anderen Gründen starben, aber nicht bei ihm.
Ich lag auf dem Gras ein paar Schritte von der Verheerung entfernt, ohne dass ich wusste, wie ich dorthin gekommen war. Eben erst war ich noch ganz im Bann dieser wilden Augen gewesen, und dann plötzlich befand ich mich wieder in meiner Kindheit, als Zuschauerin eines Ereignisses, das ich in allen Einzelheiten nacherlebte. Ich musste mich losreiÃen, wie Träumende sich durch reine Willenskraft aus einem Alptraum befreien.
Zitternd stand ich auf. Etwas geschah hier, das ich nicht verstand. Doch ich wollte es wissen. Ich musste es wissen. Wenn ich die Illusionierer nicht verstand, bestand ein groÃes Risiko, dass ich sterben würde. Temellin behauptete zwar, die Verheerung wäre so übel, dass sie nicht Teil der Illusion sein konnte; immerhin fügte sie den Illusionierern Schmerz zu und musste deshalb etwas anderes sein. Aber diese Logik war fadenscheinig. Die Verheerung existierte nun mal in der Illusion und nicht irgendwo auÃerhalb.
Dumm, wie ich war, kehrte ich zum Rand der Verheerung zurück, um Antworten zu finden.
Und es passierte genau das Gleiche wieder. Ich begegnete dem Blick einer anderen Kreatur und wurde erneut in die Vergangenheit gerissen.
Eine sehr viel ältere Ligea. Fünfundzwanzig Jahre alt, und sie hatte sich in der Bruderschaft bereits einen Namen gemacht.
Die Gesellschaft von Tyr hielt sie allerdings für ein bisschen seltsam. Sie war zu intellektuell, zu uninteressiert am Tempel, zu männlich, zu direkt, zu unabhängig. Gelegentlich tauchte sie an seltsamen Orten oder in seltsamer Begleitung auf. Es gab Gerüchte in Hülle und Fülle. In ihrem Alter hätte sie natürlich verheiratet sein müssen, aber es hatte nicht sehr viele Angebote gegeben, und jetzt hatte sie sich ganz offen jemanden aus den Legionen zum Liebhaber genommen. Es war eine Sache, wenn eine tyranische Dame der Gesellschaft, die ihren Mann bereits mit genügend Nachwuchs versorgt hatte, sich auf diese Weise verhielt. Es war aber ganz etwas anderes, wenn eine unverheiratete Frau sich so benahm.
Und dann waren General Gayed und seine Frau Salacia beide gestorben und hatten ihre adoptierte Tochter allein zurückgelassen. Plötzlich war Ligea auÃerordentlich begehrt, da sie Geld besaÃ. Diese Veränderung ärgerte und erheiterte sie gleichermaÃen, und sie konnte mit denen, die sich dazu verstiegen, ihr den Hof zu machen, recht schroff umgehen. Einer von ihnen, der charmant und persönlich glaubwürdig wirkte, war besonders beharrlich und höchst leidenschaftlich und hatte seine Bewunderung für starke Frauen geäuÃert und seine Zuneigung zu ihr kundgetan. Sein Name war Casmodius, und sie hätte ihm vielleicht sogar geglaubt, wäre sie nicht in der Lage gewesen, Lügen zu lesen und Emotionen zu spüren. In Wirklichkeit verachtete er sie, und innerlich machte er sich über sie lustig. Er war nicht so wohlhabend, wie er vorgab, sondern ein Spieler, der versuchte, seine Verluste vor seinen Gläubigern und der Gesellschaft geheim zu halten, und jetzt hatte er ein Auge auf sie geworfen.
Seine Heuchelei war so umfassend und seine Lügen waren so unverhohlen, dass sie sich entschloss, ihn zu bestrafen. In der Ãffentlichkeit spielte sie die Freundin, die ihm zugetan war. Privat stichelte sie und lächelte sie und streichelte sie sein Ego, während sie zugleich von ihren Gefühlen gegenüber Favonius sprach, der damals gerade in Quyr war. Sie quälte Casmodius mit ihrem unvorhersehbaren Verhalten und ihrer wechselhaften Zuneigung. Gleichzeitig benutzte sie ihre Position in der Bruderschaft, um Informationen über seine Schulden
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