Der Bund der Illusionisten 1
war winzig, und wir standen nur einen halben Schritt voneinander entfernt. Dennoch berührte er mich nicht. » Wo ist Brand?«
» Er bringt die Sleczs zu jemandem, der sich bereit erklärt hat, sie zu kaufen. Er wird erst in ein paar Stunden zurück sein. Ich muss gehen, Tem. Du weiÃt, warum. Ich glaube nicht, dass Schwestern ihre Brüder heiraten sollten.«
Sein Gesicht nahm den Ausdruck störrischen Widerstands und aufrichtiger Verblüffung an. » Du könntest trotzdem bleiben. Und wir werden ein Kind haben. Ich liebe dich, Derya. Ich möchte dich um mich haben. Und ich möchte meinen Sohn haben. Derya, erbarme dichâ ich habe bereits zwei Kinder verlorenâ lass mich nicht auch noch das dritte verlieren. Bitte.«
» Du wirst ihn nicht verlieren! Ich werde ihn zu dir schicken. Oder noch besser, du schickst jemanden, der ihn abholt.«
Seine Ãberraschung und sein paradox anmutender Schmerz erfüllten die Kabine. » Du würdest ihn einfach so aufgeben?«
Ich täuschte Gleichgültigkeit vor und formulierte den nächsten Satz so, dass ich die Wahrheit verbergen konnte. » Ich glaube nicht, dass ich dazu geschaffen bin, Mutter zu sein.« Vielleicht war ich das auch nicht, aber als ich an das wachsende Leben dachte, sickerte Zärtlichkeit in mein Herz. Verrat von innen.
Hatte Wendia sich mir gegenüber auch einmal so gefühlt? Oder Aemid? Wendia war in dem Wissen gestorben, dass sie ihre Tochter nicht hatte schützen können, und es musste schrecklich sein, das Leben mit solchen Gedanken zu beenden. Und Aemid, die noch lebte, wusste ebenfalls, dass sie mir gegenüber versagt hatte. Vielleicht begann ich erst jetzt, ihre Qual richtig zu verstehen. Und ich stand davor, gegenüber meinem Sohn als Mutter ebenfalls zu versagen.
Möge Melete mir Kraft geben.
Ich wusste, dass ich unseren Sohn nicht behalten konnte. Er war der Erbe von Kardiastan. Eine Erinnerung blitzte kurz auf: meine Hände, wie sie in Pinars Blut getaucht waren und ich ihren Sohn in den Handflächen hielt. Wieso war mein Leben nur durchzogen von Kindern, die von ihren Müttern getrennt worden waren? Mein Sohn würde mich niemals richtig kennenlernen. Die Vorstellung nagte schmerzhaft an meinen Eingeweiden.
» Aber wieso musst du überhaupt gehen?«, fragte Temellin. Die Emotion, die er mich fühlen lieÃ, war eher Verwirrung als Verärgerung. » Liegt es daran, dass du mir nicht vergibst, dass ich dir nicht geglaubt habe?«
» Nein. Die Göttin weiÃ, ich habe dir genug Anlass gegeben, mir nicht zu glauben! Aber es gibt Gründe, weshalb ich Kardiastan verlassen muss. Ein halbes Dutzend.«
» Ich brauche kein halbes Dutzend. Ich brauche nur einen einzigen, den ich nachvollziehen kann. Und der, den du genannt hast, zählt nicht. Diese Bruder-Schwester-Sache. Deryaâ¦Â« Er richtete sich auf, darum bemüht, sich mehr unter Kontrolle zu haben. » Ich gebe dir einen Grund zu bleiben, den besten, der mir einfällt. Du bist nicht Shirin. Du bist nicht meine Schwester. Wir haben uns geirrt. Du bist Sarana, meine Kusine. Die Illusionistin von Kardiastan.«
Mein Körper wurde kalt. Er weià es! Und dann: Er liebt mich so sehr, dass er mir das sagt? Göttin, das hatte ich nicht verdient. Ich schluckte. » Wie hast du es herausgefunden?«
Ironie blitzte in seinem Lächeln auf. » Du hast es mir selbst gesagt, in deinem Brief. Als du angedeutet hast, dass die Illusionierer dir von ihrem dringenden Bedürfnis nach einem Kind erzählt haben. Ich konnte nicht glauben, dass sie diese Information an Shirin weitergegeben hatten. Sie hatten sie Korden nicht gegeben, als er in die Zitterödnis gegangen war, und zu dem Zeitpunkt war er sogar mein Erbe, also warum hätten sie sie dir geben sollen? Ich habe versucht, mir einzureden, dass es damit zu tun hat, dass du mein Kind trägst, aber irgendwie kam es mir trotzdem nicht richtig vor. Erst recht nicht, als sich herausstellte, dass schlieÃlich Pinars Sohn zum Illusionierer geworden war. Also habe ich angefangen, noch mal über alles nachzudenken. Ich habe mich daran erinnert, was du über deine Kindheit gesagt hast, an was du dich noch erinnern kannst, und plötzlich kam mir die Beschreibung mehr wie die eines Kampfes vor, bei dem ein Howdah beteiligt war. Und dann bin ich noch einmal zu Zerise gegangen. Ich habe sie so lange bedrängt, bis sie zugegeben
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