Der Bund der Illusionisten 1
hier war nicht ich. Es war eine kardische Frau. Ekel kroch über meine Haut. Oder war es eine Vorahnung?
» Ihr seid nicht zu erkennen, Legata«, sagte Brand, » aber um die Leute zu täuschen, ist mehr nötig als nur ein paar andere Kleider und eine neue Frisur.«
» Machst du dir Sorgen, dass ich die kardische Sprache nicht beherrsche? Ich spreche flieÃend Kardisch, das versichere ich dir. Aemid hat mich gut unterrichtet. Wenn ich altmodische Redewendungen benutzen sollte, kann ich das immer noch damit erklären, dass ich seit Jahren als Sklavin von Legata Ligea in Tyrans gelebt habe. Mach dir keine Sorgen um mich, Brand. Ich bin in Tyrans oft genug in Verkleidung herumgelaufen.«
» Aber noch nie als Sklavin.« Er streckte eine Hand aus und berührte mein Halsband. » Das hier ist nicht nur etwas, das um Euren Hals hängt. Es macht etwas mit Euch. Es verwandelt Euch in eine bewegliche Sache. Einen Gegenstand. Ihr dürft Euch nicht mehr so verhalten, als hättet Ihr ein Recht auf irgendetwas. Ein Sklave hat keine Rechte. Und macht Euch klar, dass Ihr in Tyrans die Bruderschaft hinter Euch hattet, ganz egal, in was für ein übles Loch Ihr auch hineingestolpert seid.« Einen kurzen Moment enthüllte er absichtlich seine Gefühle, so dass seine Besorgnis, seine Angst über mich hinwegschwappten.
Ich wandte mich ernüchtert von meinem Spiegelbild ab und starrte ihn schweigend an. » Oh«, sagte ich schlieÃlichâ ein Seufzer, der Begreifen und Anerkennung ausdrückte. » Wie dumm von mir. Seit wann weiÃt du, dass ich Gefühle genauso lesen kann wie Lügen?«
» Seit ich ein Junge war. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich Möglichkeiten gefunden habe, meine Gefühle vor Euch zu verbergen. Wie macht Ihr es? Riecht Ihr sie?«
Ich schüttelte den Kopf. » Nein, es ist eher ein ganz eigener Sinn. Einer, der die Art und Weise deutet, wie Menschen fühlen. Ich brauche die Person nicht zu sehen oder zu hören, und ich muss sie ganz sicher nicht riechen.«
Er wollte noch mehr wissen, das erkannte ich. Ich lieà allerdings nicht zu, dass er eine weitere Frage stellte; ich wollte nicht ein Phänomen erklären müssen, das nicht zu erklären war. » Du bist weitaus klüger, als ich dachte, Brand. Ich hatte keine Ahnung, dass du dich bewusst verbirgst. Ich hatte immer angenommen, dass ein Fehler meiner Gabe es unmöglich machen würde, dich zu lesenâ dass das, was du getan hast, eher instinktiv war als absichtlich.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. » Ich werde vorsichtig sein. AuÃerdem wirst du mir folgen. Hol einen Wasserkrug aus der Küche, dann können wir gehen.«
Madrinya mochte zwar tyranisch sein, aber auÃerhalb der Residenz des Statthalters hatte sich die Stadt ihren kardischen Charakter bewahrt. So führte eine StraÃe aus festgetretener brauner Erde zum Brunnenplatz, die beiderseits von Häusern aus Lehmziegeln gesäumt wurde. Ihre schlichten Fassaden waren lediglich durch Tore unterbrochen.
Ich verspürte keinerlei Lust, mich dort länger aufzuhalten, aber als ich von irgendwoher Musik hörte, blieb ich abrupt stehen. Der harmonische Klang von Streichinstrumenten schwebte durch ein offenes Tor von einem der Häuser zu mir: kardische Musik, eine schlichte, traurige Melodie, die von einem komplexen Kontrapunkt durchzogen war. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals zuvor in Kardiastan Musik gehört zu haben, und daher hätte es in meinen Ohren eigentlich befremdlich klingen müssenâ und doch wurde ich plötzlich von Sehnsucht überwältigt und fühlte mich so ergriffen, dass ich reglos wie eine Tempelstatue dastand. Ich vergaÃ, was ich eigentlich vorhatte oder dass Brand mir folgte. Die Kleidung, die ich trug, die Sprache, die um mich herum gesprochen wurde⦠all das verstärkte zusätzlich die Gefühle, die die Musik in mir erweckte.
Ich hatte mir Kardiastan als kulturloses, barbarisches Land vorgestellt. Diese Musik zeigte mir nicht nur, dass das eine Lüge war, sondern sie rührte auch meine kardische Seele an, von der ich noch nicht einmal gewusst hatte, dass ich sie besaÃ. Die Kraft dieser Musik zog mich in eine andere Welt, in Erinnerungen an meine Kindheit, die ich tief in mir versteckt hatte.
Hüpfspiel spielen. Getröstet werden, wenn ich weinen musste. Auf den Knien eines Mannes sitzen und alten Geschichten
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