Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
auszudenken, welch einschneidende Folgen dies für die Nonnen hätte. Mit einem Schlag würden sie nicht mehr den meist abwesenden König ihren Herrn nennen, sondern müssten jeden ihrer Schritte gegenüber Albero rechtfertigen. Und Karolina schreckte dieser Gedanke gewiss mehr als den Teufel die Bibel. Obwohl die Zukunft des Stifts sie persönlich kaum kümmern müsste, konnte Laetitia Karolinas Ängste sehr gut nachfühlen.
Getrieben vom Bedürfnis, die Bibliothekarin in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen, erklärte sie den Männern voller Eifer: »Wichtige Angelegenheiten binden Karolina zurzeit ans Kloster, sodass sie mich schickte, um für die Beschuldigte zu sprechen. Sie hielt es für angemessen, wenn Margund jemand gleichen Alters zur Seite steht. Besser als jeder andere kann ich mich in ihre Lage versetzen und … «
»Gewiss, gewiss«, fiel ihr Wilhelm mit einer abwehrenden Handbewegung ins Wort, als wolle er ein lästiges Insekt verscheuchen. Dabei bemerkte Laetitia an seinem Finger einen Ring, der einen in schwarzen Stein eingelassenen goldenen Löwen zeigte. Auch die lederne Mappe mit Papieren, die er unterm Arm trug, trug als Wappen seines Geschlechts das Bild eines Löwen. Das ließ nichts Gutes ahnen. Meist waren es aus dem Heiligen Land zurückgekehrte Kreuzfahrer, die es sich zum Brauch gemacht hatten, fremdartige Tiere, die weit entfernt im Morgenland oder Afrika lebten, in ihrem Wappen zu führen. ›Wilhelm von Löwenstein‹ konnte sie auf der Mappe entziffern. Namen und Wappen wertete Laetitia als Fingerzeig dafür, dass Wilhelm der Nachfahre eines Ritters aus dem ersten Kreuzzug war. Daher lag nahe, dass er mit Rupert sympathisierte, der zweifellos wie alle Templer für den neuen Kreuzzug in lodernden Flammen stand. Hoffentlich verleitete das Wilhelm nicht dazu, in der Anhörung allein Ruperts Argumenten sein Ohr zu leihen.
»Bevor wir dazu schreiten, über die Rechte der Delinquentin zu reden«, setzte er fort, »wollen wir damit beginnen, den genauen Hergang des Verbrechens zu rekonstruieren. Rupert, wenn Ihr so freundlich wäret.« Er stellte sich hinter ein Pult, das man eigens aus der erzbischöflichen Bibliothek herangeschafft hatte. Dann pochte er mit einem Stab auf die Holzfläche, bis das Gemurmel der Neugierigen verebbte. Mit gönnerhafter Miene nickte er Rupert zu, der sich nicht lange bitten ließ. In kühler Überlegenheit, die wenig Zweifel über sein Selbstbildnis zuließ, trat der Templer in die Mitte des Raums. Zum Zeichen seines Gotteseifers prangte auf seinem weißen Mantel stolz das rote Kreuz, das ihn und seine Ordensbrüder für viele Menschen in den Heldenstand erhob. Bald schon hing das neugierige Publikum wie gebannt an Ruperts Lippen.
Laetitia brach kalter Schweiß aus den Poren, da sie sich erst in diesem Augenblick die Tragweite der Situation vergegenwärtigte. Fremd in der Stadt und bloß ein unbedeutendes Mädchen, war sie tatsächlich im Begriff, sich gegen einen Mann behaupten zu wollen, der dem Templerorden angehörte. Sie trat damit nicht nur gegen eine der angesehensten Persönlichkeit an, die man sich vorstellen konnte. Sie tat es in der frevelhaften Absicht, die des Mordes beschuldigte Angehörige einer abweichlerischen Glaubensrichtung zu beschützen! Das gesamte Unterfangen bot derart wenig Aussicht auf Erfolg, dass sie ebenso gut versuchen könnte, die Mosel schwimmend zu durchqueren. Sie schloss die Augen und sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Schwindel ergriff sie und der Boden unter ihr wankte.
Plötzlich flog die Tür schwungvoll auf und alle Köpfe fuhren herum. Für einen Moment lang war es still, dann durchlief ein aufgeregtes Getuschel den Saal. Mit wehendem Mantel schritt ein junger Mann herein, im Gefolge zwei Diener. Das Wappen auf seiner Brust, das einen grauen Stadtfalken im blauen Kreis zeigte, verriet Laetitia, dass er zur Familie von Edgar von Falkenstein gehörte, den sie gemeinsam mit Karolina vor einigen Tagen um Hilfe ersucht hatte. Ohne Rupert und Wilhelm zu begrüßen, verbeugte er sich tief vor Laetitia und stellte sich als Sebastian von Falkenstein vor. Laetitia stieg eine warme Röte ins Gesicht. Eindringlich hatte sie die Äbtissin vor der Galanterie junger Männer gewarnt, die ihr als hübschem Mädchen in einer Stadt wie Trier gewiss entgegenkäme. Doch mehr noch als Verlegenheit war es Verblüffung, die sie in diesem Augenblick empfand. Wenn Ruperts Gehabe zuvor Arroganz verraten hatte, erfuhr der Begriff durch
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