Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Freude an blutigen Kampfspielen fanden. Laetitia fühlte sich bei der Betrachtung der Mosaikfragmente in eine andere, fremdartige Zeit zurückversetzt. Bei jedem Tritt, den ihre Füße bald darauf auf dem marmornen Fußboden unternahmen, empfand sie die Ehrfurcht nach, die Konstantins Besucher erfasst haben musste, wenn sie durch den riesigen Audienzsaal auf den Thron ganz am Ende der Halle zugingen. Eindrücklicher als jeder kaiserliche Befehl hatte diese architektonische Demonstration der Macht den Menschen gezeigt, wie gering sie doch waren und welch unsägliche Gnade sie erfuhren, sich dem mächtigen Herrscher über ein Weltreich nähern zu dürfen.
»Laetitia«, hallte ein Ruf durch den Saal. Jetzt erst bemerkte sie Karolina, die mit Sebastian und Rupert unweit der abgetrennten Nordapsis, vor einer bewachten Tür stand. »Laetitia, wie gut, da … «
Karolina wurde übertönt von zornigem, wutschäumendem Gezeter, das niemand anderes ausstieß als Wilhelm. Er kam aus der gegenüberliegenden Richtung und stürzte auf die beiden Wachen zu, welche die Kammertür hüteten. Laetitia erschrak über die Heftigkeit, mit der er seine Worte herausschleuderte. Der Zornesausbruch hob sich derart von der unterkühlten Höflichkeit ab, die sie bislang im Umgang mit ihm erfahren hatte, dass sie kaum glauben mochte, dieselbe Person vor sich zu haben. Die Wachen zogen unterdes ihre vor Zerknirschung hochroten Köpfe immer tiefer zwischen die Schultern, begleitet von wütenden Tiraden, die ihnen Wilhelm entgegen schmetterte. »Wie könnt Ihr es wagen, diese verruchte Person in den erzbischöflichen Palast zu bringen! Als ich Euch losschickte, um die Hure zu ergreifen, sagte ich mit keiner Silbe, dass Ihr sie hierher schleppen sollt! Da hätte sich nun wirklich ein passenderer Ort gefunden. Los, los, nun, da es geschehen ist, schafft wenigstens Stühle her, damit wir die schändliche Person verhören können.«
Bevor die beiden sich davon machen konnten, stürzte Wilhelm auf die Kammer zu. Durch die geöffnete Tür sah man Brigittas flammendes Haar, das ihr wütendes Gesicht umwallte. Ihre Hände waren an den Stuhl gefesselt, ein über den Mund gebundenes Tuch hinderte sie am Zetern. Mit lautem Schwung schmetterte Wilhelm die Tür zu, drehte den Schlüssel im Schloss und rüttelte prüfend am Griff. Fest verschlossen. Dann steckte er den Schlüssel ein und scheuchte die Wachen mit einer unmissverständlichen Geste hinaus. Sie stoben davon wie vom Fuchs aufgescheuchte Enten. Auch Wilhelm wandte sich um und steuerte mit wehendem Mantel auf die Vorhalle zu. Laetitia würdigte er dabei nicht eines einzigen Blickes. Weder Karolina noch Rupert oder Sebastian schienen auch nur einen Deut weniger verwundert über das Ausmaß von Wilhelms Rage, denn noch als von den fliehenden Wachen längst nichts mehr zu sehen war, starrten sie Wilhelm offenen Mundes hinterher.
Plötzlich ertönte ein Schmerzensschrei aus der Vorhalle. Karolina und Sebastian tauschten bedeutungsvolle Blicke, um dann – ohne auch nur einen weiteren Wimpernschlag lang zu zögern – gemeinsam loszurennen. Einem ersten Impuls folgend wollte sich Laetitia ihnen anschließen. Doch dann fragte sie sich, ob das klug wäre, denn zu Rupert hatte sie so viel Vertrauen wie die Maus zur Katze. Gewiss könnte es nicht schaden, wenn jemand bei dem Templer blieb und ihm die Gelegenheit versagte, sich am Türschloss zu schaffen zu machen. Es fehlte gerade noch, dass er Brigitta einschüchterte, um sie von ihrer Aussage abzubringen. Andererseits versetzte sie die Ungewissheit über das, was draußen geschehen war, in Unruhe. Den Kopf immer wieder nach dem Templer umwendend, der ihr spöttisch hinterher sah, eilte sie schließlich zur Vorhalle. Dort erwartete sie ein Bild, auf das sie keineswegs gefasst war.
Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, saß Wilhelm auf dem Boden, das Gesicht vor Schmerz verzerrt. »Es ist nicht weiter schlimm«, presste er hervor, »Karolina ist bereits losgelaufen, um Linnen und Arnika zum Verbinden der Wunde zu besorgen und Sebastian ruft nach den Wachen.«
Laetitia erschrak nicht wenig, als sie bemerkte, dass seine Kutte über dem rechten Oberschenkel eingerissen und mit Blut besudelt war. Erst jetzt begriff sie, dass Wilhelm sich in seiner wütenden Eile an einem der aus der Wand vorstehenden Haken zur Befestigung von Spießen und Äxten verletzt haben musste. Die Sorge auf seinem Gesicht schien allerdings nicht allein durch die Verletzung verursacht.
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