Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
Ausrichtung, zufällige Nebenwirkungen, handwerkliche Fehler. Alles, was du dir vorstellen kannst. Außerdem heißt es, die Mitglieder stärkten mit ihrem Tod den ganzen Tempel, und ein großer Teil ihrer gemeinsamen Kraft beruhe auf der Macht des Todes. Dadurch haben sie ein völlig unangebrachtes Selbstvertrauen.«
»Also meinst du, dass sie diese Kräfte nicht wirklich bändigen können?«, fragte Will. Denser nickte. »Bist du sicher?« , hakte er nach.
»Ziemlich sicher.« Der Dunkle Magier lächelte Ilkar ein wenig verlegen an. Ilkar schürzte die Lippen, sagte jedoch nichts.
»Sind sie aggressiv?« Hirad blickte zwischen Ilkar und Denser hin und her.
»Nein«, gab der Magier zurück. »Nicht so aggressiv wie die Wesmen, obwohl die Wesmen sie völlig in Ruhe lassen, soweit wir wissen.« Er sah die anderen Rabenkrieger an. »Sonst noch etwas?«
»Wie viele sind es überhaupt?«, fragte Thraun.
»Ich habe keinen Schimmer.«
»Ich meine im Zentraltempel. Reden wir über dreißig oder dreihundert oder über wie viele Leute?«
»Ich habe keinen Schimmer.«
»Spitze«, sagten der Unbekannte und Hirad gleichzeitig.
»Der Tempel kann mehrere hundert Menschen aufnehmen, aber vergesst nicht, dass er zur Anbetung gebaut wurde. Die Götter allein mögen wissen, wie viele Sires sich dort aufhalten, von Kriegern ganz zu schweigen. Hoffentlich finde ich es nachher heraus.«
Doch er konnte nichts in Erfahrung bringen. In Begleitung von Thraun, der dafür sorgte, dass sie nicht entdeckt wurden, wanderte er bis zum Waldrand am Tempel und wirkte seinen Tarnzauber. Dann marschierte er bis vor den mit Säulen geschmückten Eingang. Das Portal war verschlossen, und er konnte es nicht riskieren, an den großen polierten Messingringen zu rütteln, die an den Eichentüren hingen. Er umrundete den Tempel im Uhrzeigersinn und betrachtete die schönen Einlegearbeiten und Schnitzereien auf den Wänden. Großartige Darstellungen von Bergen und Wäldern, Meer und Ebenen und Wüsten, dazwischen Abbildungen von Feuer und Wind, der über den Himmel wehte, und ein besonders garstiges Mosaik, das den Marsch der Toten darstellte.
Kein Geräusch drang von drinnen heraus. Die Fenster waren mit Läden verschlossen, die seitlichen und rückwärtigen Türen verriegelt, und die Türme, anmutige Kegel aus schwarzem Marmor, die doppelt so hoch waren wie Denser, gaben ihm keinen Hinweis auf den Aufenthaltsort der Wrethsires. Er kehrte zu Thraun zurück, und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg ins Lager.
»Sollten wir uns nun darüber wundern oder nicht?«, fragte Will. Seine Augen funkelten hell unter dem inzwischen völlig ergrauten Haar.
»Um ehrlich zu sein, ich sehe keinen Grund zur Verwunderung«, erwiderte Denser. »Wie ich schon sagte, es ist ein Ort der Anbetung. Nur wenige Menschen, wenn überhaupt, dürften dort leben. Außerdem ist immer noch Vormittag. Aber irgendwie … ich weiß nicht …«
»Wo ist das Problem?« Hirad stand auf und streckte sich. »Es kommt mir vor, als könnten wir jetzt gleich reingehen und sofort wieder verschwinden und uns eine Menge Schwierigkeiten ersparen.«
»Der Gedanke ist mir auch gekommen«, stimmte Denser zu. »Aber ich muss immer denken, dass ich diesen Tempel, wenn er meiner wäre, schützen würde. Vor allem, wenn man sieht, was gerade in der Welt geschieht.«
»Mir ist nicht klar, worauf du damit hinauswillst«, sagte Hirad. »Wenn sie so blöde sind, ihren Laden unbewacht zu lassen, dann ist das doch nur gut für uns.«
»Ich weiß nicht«, sagte Denser. »Es kommt mir so seltsam vor.«
»Dein sechster Sinn?« Erienne fuhr mit der Hand durch Densers Haare.
Er nickte. »Etwas in dieser Art. Ich glaube, wir sollten einfach vorsichtig sein.«
»Wir sind eigentlich immer vorsichtig«, meinte Ilkar.
»Schlagen wir nun sofort zu, oder bleiben wir beim ursprünglichen Plan?« Jandyr sah Hirad fragend an, doch der Unbekannte antwortete ihm.
»Bei Tageslicht riskieren wir, dass die Wrethsires zum Tempel gelaufen kommen, mitten in der Nacht aber nicht. Ich sehe keinen Grund, jetzt sofort hineinzustürmen. Wir sind hier nicht in Gefahr. Hirad?«
Hirad blickte in die unergründlichen Augen des Unbekannten und fragte sich, ob sie jemals wieder lebendig werden mochten. Doch auch wenn die Seele leer war, sein Verstand war scharf, und seine Stimme verriet die alte Autorität. Hirad hatte diese Stärke vermisst, als der Unbekannte fort war.
»Einverstanden. Warum sollten wir es
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