Der Bund: Dunkle Götter 2 (German Edition)
Falls ich es noch nicht erwähnt habe, das Zimmer verfügte über eine schöne Auswahl an Wein, der im Salon bereitstand. »Möchtet Ihr auch etwas?«, fragte ich.
»Aber keinen Becher, bringt mir die Flasche«, antwortete er unwirsch.
James war nicht gerade dafür bekannt, sich Trinkgelagen hinzugeben, aber in diesem Augenblick wollte ich ihm ganz gewiss nicht widersprechen. Ich reichte ihm die Flasche, und er setzte sie an, nahm einen großen Schluck und ließ sich auf dem Sofa nieder. Offensichtlich hatte er sich ein wenig beruhigt. »Ihr seht aus, als sei Euer Tag ungefähr so verlaufen wie meiner«, begann ich schließlich.
»Davon weiß ich nichts. Habt Ihr auch einen Sohn, der Euch alles vor die Füße schmeißt und Euch sagt, Ihr sollt zur Hölle fahren?« Sein Tonfall verriet mir, dass ich keinen Schimmer hatte, wie schlimm sein Tag wirklich gewesen war.
»Hat Marc das wirklich gesagt?« Ich war schockiert, denn mein Freund hatte sein Leben lang versucht, seinem Vater alles zu Gefallen zu tun, auch wenn ihm das keineswegs immer gelungen war.
»Nicht, dass er tatsächlich etwas gesagt hat. Er hat sich den Priestern des Abendsterns angeschlossen und auf sein Erbe verzichtet. Ohne Vorwarnung, ohne jedes Gespräch, ohne Begründung.« James trank einen weiteren großen Schluck direkt aus der Flasche.
»Demnach will er Priester werden? Was, zum Teufel …« Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. In den letzten Jahren hatte Marc sich ausschließlich für Frauen und Wein interessiert. Obendrein war ich immer noch nicht sicher, ob man der Göttin des Abendsterns wirklich trauen konnte. Vater Tonnsdale hatte ein schlechtes Beispiel gegeben, als er versucht hatte, meine Eltern und außerdem fast alle anderen in Lancaster zu vergiften. Ich leerte mein Glas und sah mich nach einer neuen Flasche um, weil ich nicht sicher war, ob ich James seine Beute abnehmen konnte.
»Er war nicht im Haus, als ich gestern ankam, sondern schickte mir eine Botschaft, dass er mich heute aufsuchen werde. Diese überhebliche kleine Kröte!« Wieder trank er einen Schluck Wein. Ich fragte mich, wie lange er dieses Tempo halten konnte.
»Und heute?« Mit einer eigenen Flasche bewaffnet, setzte ich mich neben ihm auf das Sofa.
»Heute ist er in einem weißen Gewand aufgetaucht und hat mir gesagt, die Göttin habe ihn berufen. Das hier gab er mir.« Er zückte ein zerknülltes Pergament. Ich nahm es entgegen und überflog die Zeilen. In aller Deutlichkeit stand dort geschrieben, dass Marcus von Lancaster auf sein Erbe und alle Ansprüche auf das Herzogtum Lancaster verzichtete.
»Habt Ihr das so einfach zugelassen?« Ich bereute die Frage sofort wieder. Der Wein hatte meine gewohnte Vernunft ausgeschaltet.
»Teufel, nein! Ich habe getobt! Ich war so wütend, dass ich ihn an Ort und Stelle hätte erdrosseln können! Aber er ließ sich nicht beeindrucken und blieb so ruhig wie ein Schiff im Auge des Wirbelsturms. Das ließ mich sogar noch wütender werden. Er hörte mir einfach nur zu, und dann ging er.« James beruhigte sich allmählich, und er war auch ein wenig beschwipst. »Mordecai, sagt mir eines … und seid ehrlich.«
»Gewiss doch, Durchlaucht.«
»Hört auf mit diesem ›Durchlaucht‹-Unsinn. Ich frage Euch jetzt als ein Mann zum anderen, als Vater zum besten Freund seines Sohnes.« Sein Gesicht war inzwischen stark gerötet. »Bin ich ein guter Vater gewesen? Oder habe ich meinen Sohn dazu getrieben? Er schien doch immer glücklich zu sein. Was habe ich falsch gemacht?«
Dazu fiel mir beim besten Willen nichts ein. James war mir mein Leben lang ein Vorbild gewesen, der Inbegriff von Selbstvertrauen und Autorität. Ihn so außer sich zu sehen, erschütterte mich sehr. »Marc liebt Euch, James. Das hat er immer getan, aber er hat Euch selbstverständlich auch gefürchtet, wie wohl jeder Sohn seinen Vater zugleich fürchtet und achtet. Ich glaube, er stand unter einem großen Druck, weil er Euren Erwartungen gerecht werden musste, aber ich glaube nicht, dass die Belastung zu groß war. Er hat mir nie einen Anlass zu der Annahme gegeben, er wolle sich eines Tages auf diese Weise drücken.«
»Aber warum hat er es dann getan?« Er schlug sich die Hände vor das Gesicht, vermutlich um die Tränen zu verbergen, aber ganz sicher war ich mir nicht.
»James, ich glaube nicht, dass es irgendetwas mit Euch zu tun hat. Es kommt mir eher so vor, als sei etwas mit ihm geschehen. Dergleichen tut er nicht aus einer Laune heraus,
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