Der Captain ist 'ne Lady
kleine blutende Wunde. Auch das noch!
“Ich muss ihn verarzten”, erklärte er Meredith. “Können Sie so lange das Seil halten? Ich gehe zum Wagen. Reden Sie mit ihm, um ihn zu beruhigen. Er ist nervös.”
Sie wirkte ebenfalls nervös, griff jedoch mutig nach dem Seil und kümmerte sich um den Hengst, der mit den Ohren zuckte und mit dem Schweif schlug.
Während Cinco den Notfallkasten aus dem Wagen holte, streichelte Meredith das Pferd und redete leise mit ihm. Tatsächlich ließ sich der Hengst beruhigen.
“Gut gemacht”, lobte Cinco, als er sie erreichte. “Sie haben ihn richtiggehend gebannt.” Genau wie mich, fügte er in Gedanken hinzu.
“Ist er nicht niedlich?”, fragte sie. “Wissen Sie, dass er sich sofort beruhigt hat, als ich mit ihm geredet habe? Er war bestimmt nur einsam und hatte Angst.”
Cinco schüttelte den Kopf. Es war erstaunlich, wie schnell sich zwei einsame und verängstigte Wesen angefreundet hatten. “Halten Sie ihn gut fest, während ich die Wunde versorge”, bat er. “Danach führen wir ihn nach oben und bringen ihn in Sicherheit.”
“Wie heißt er?”, erkundigte Meredith sich, während er den Notfallkasten öffnete.
“Wir geben so jungen Tieren noch keine Namen, sondern Nummern. Außerdem bekommen sie ein Brandzeichen. Namen erhalten sie erst im Frühjahr. Dann trennen wir die Arbeitspferde von den Zuchthengsten. Das sind keine Haustiere.”
Während er sich an die Arbeit machte, legte Meredith, die bisher Angst vor Tieren gehabt hatte, ihrem neuen Freund den Arm um den Hals.
“Bei diesem hier werden wir eine Ausnahme machen und ihm einen Namen geben”, fügte er hinzu. “Wie wäre es mit Dickens?”
“Ja, wieso nicht”, meinte sie und streichelte pausenlos den kleinen Hengst.
Cinco stellte fest, dass sie den Pferdeanhänger holen mussten, damit sie Dickens zum Tierarzt bringen konnten. Er musste sich die Wunde ansehen. Meredith bestand jedoch darauf, dass einer von ihnen bei dem Pferd blieb. Cinco wollte sich nicht von ihr trennen. Darum rief er über Handy seine Schwester an. Abby hatte soeben ihre Arbeiten abgeschlossen und versprach, sich sofort auf den Weg zu machen.
Meredith fühlte sich angenehm müde, als sie mit Cinco abends die Küche betrat, gleichzeitig war sie voller Schwung. Die Ranch wirkte mittlerweile ganz anders auf sie als zu Beginn.
Oben im ersten Stock trennten sie sich, um zu duschen und sich umzuziehen.
Kurz vor dem Essen kehrte Meredith in die Küche zurück und fand dort Lupe vor.
“Setzen Sie sich und unterhalten Sie mich,
hija”
, bat die Haushälterin, die gerade damit beschäftigt war, den Kirschkuchen zu glasieren.
Meredith wusste zwar nicht, was die Anrede, die Lupe soeben für sie benutzt hatte, bedeutete, aber sie lächelte der freundlichen Haushälterin trotzdem zu, setzte sich an den Küchentisch und beobachtete sie bei der Arbeit.
“Können Sie mir etwas über Cinco erzählen?”, fragte sie.
Lupe hantierte weiter mit dem großen Messer, mit dem sie die Glasur glatt strich.
“Ich weiß, dass er ein guter Mensch ist”, fuhr Meredith hastig fort. “Und er legt größten Wert auf Sicherheit. Mir geht es um etwas ganz anderes. Wie war er als Junge? Wie ist er zu dem Mann geworden, der er heute ist?”
Lächelnd betrachtete Lupe ihren Kuchen. “Cinco war ein ganz normaler Junge auf einer Ranch, einer der Besten, was Tiere anging. Seine Eltern waren sogar überzeugt, dass er Tierarzt werden würde. Dann brachte sein Vater einen Computer auf die Ranch, um damit die Buchhaltung zu erledigen. Cinco war damals zwölf oder dreizehn, und von da an änderte er alle seine Pläne.” Lupe stellte die fast leere Rührschüssel auf den Tisch. “Sie können sie ausputzen.”
Meredith griff nach einem Messer und kostete die süße rosa Masse. “Erzählen Sie mir etwas über seine Eltern”, bat sie.
“Das waren großartige Eltern, wundervolle Menschen”, versicherte die Haushälterin. “Sie waren in der ganzen Gegend beliebt, das können Sie sich gar nicht vorstellen.”
Meredith stellte die leere Schüssel weg, während die Haushälterin den Kuchen mit einer Metallhaube zudeckte. “Was wurde aus ihnen?”
“Da gab es im Lauf der Jahre viele Gerüchte”, erwiderte Lupe leise und setzte sich zu Meredith. “Es ist zwar schon fast zwölf Jahre her, aber mir kommt es noch immer so vor, als wäre es erst gestern geschehen. Schon ungefähr zwei Monate vor ihrem Verschwinden war irgendetwas nicht in
Weitere Kostenlose Bücher