Der Chaos-Pakt
Nylan bei dem stämmigen Bewaffneten bisher noch nie gesehen hatte.
»Sie stand Enyka nahe.«
»Enyka?«, fragte Ayrlyn.
»Meine Schwester. Sie ist mit Gidser nach Rulyarth gegangen, als Ser Gethen und Fürst Sillek den Hafen für unsere Händler geöffnet haben.« Tonsar schluckte. »Gidser sagt, der Handel sei dort leichter.«
»Habt Ihr eine Gefährtin?«, fragte Nylan gerade heraus.
»Ich? Nein, Ser. Das ist eine lange Geschichte. Einmal hätte ich beinahe eine gehabt, aber sie hat mich wegen eines Händlers verlassen, genau wie Enyka Gidser genommen hat. Als Bewaffneter findet man nicht so leicht eine Frau.« Tonsar lächelte traurig.
Nylan konnte spüren, dass der Mann nervös wurde, aber er gewahrte nicht das Chaos, das mit einer Täuschung einherging. Er warf einen kurzen Blick zu Ayrlyn, die seine wortlose Frage mit einem Nicken beantwortete.
»Möchtet Ihr Sylenia zu Eurer Frau machen?«
Tonsar starrte die Mähne seines Pferdes an. »Ich würde es gern ... aber ich weiß nicht ... sie hat schon einmal einen Mann verloren, der Bewaffneter war ...«
Nylan hätte beinahe schallend gelacht. Der selbstbewusste, manchmal beinahe prahlerische Bewaffnete wurde schüchtern und verlegen, wenn es um eine Frau ging.
»Ich glaube, sie würde Euch nehmen, Tonsar«, sagte Ayrlyn. »Ihr dürft nur nicht zu lange warten, ehe Ihr sie fragt.«
»Und Ihr, Engel?«
»Wir haben keine Einwände, dass sie Eure Frau wird, wenn sie das will«, antwortete die Heilerin.
»Und wenn Ihr sie gut behandelt«, fügte Nylan hinzu.
Nach einem langen Blick zu Nylan musste Tonsar schließlich grinsen. »Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Ich habe mir in vielen Nächten Sorgen gemacht, aber sie sagte, es würde alles gut werden. Trotzdem habe ich mir Sorgen gemacht.«
»Vertraut ihr.« Ayrlyns Antwort war trocken und knapp, aber gleichzeitig eine Prophezeiung.
Tonsars Grinsen wurde breiter.
In dem Schweigen, das sich nun über sie senkte, betrachtete Nylan die braunen Hügel. Beinahe konnte er die Felsen darunter spüren, als wäre nur eine dünne Erdschicht über die Steine gelegt worden, lange nicht so dick, wie sie von Natur aus eigentlich hätte sein sollen. Er runzelte die Stirn. Da war noch etwas, eine gewisse Ordnung, eine dünne Linie der Ordnung, die das Erdreich und die oberen Schichten von den Felsen darunter zu trennen schien. Es waren Felsen, die seinen Ordnungs-Sinnen unnatürlich glatt erschienen.
»Da ist eine seltsame Strömung der Ordnung unter der Erde«, sagte er schließlich.
»Ich komme besser mit Wolken zurecht«, erwiderte Ayrlyn. »Solange ich nicht darauf liege, ist die Erde für mich einfach nur Erde. Ich kann da nicht viel spüren.«
Für Nylan war es genau anders herum. Er konnte die Ordnung in Metallen und in der Erde viel leichter wahrnehmen als die flüchtigen Strömungen der Atmosphäre.
»Vielleicht haben sie nachlässig gearbeitet, als sie den Planeten bewohnbar gemacht haben. Auch ohne deine Sinne kann ich erkennen, dass es instabil ist«, fuhr Ayrlyn fort. »Die Felsen scheinen schon durch. Wenn es stark regnet, setzt hier eine schlimme Erosion ein. Das Gras hält mit seinen Wurzeln die Erde fest, aber das wird nicht mehr lange gut gehen.«
»Gras?«, fragte der Ingenieur.
»Zwischen Grasland wie dem hier und einer echten Wüste besteht ein großer Unterschied. Das Grasland kann genau genommen sogar Regenfälle erzeugen, die es anderswo nicht gibt.« Ayrlyn schüttelte den Kopf und sah sich weiter in der Gegend um.
»Das können Bäume auch.« Nylan senkte die Stimme. »Ich träume immer noch von ihnen. Liegt es etwa daran, dass wir hier keine Bäume zu sehen bekommen?«
»Das ist möglich. Allerdings ... was genau träumst du eigentlich? Sind es immer noch dunkle und weiße Energieströme?«
»Es war nie etwas anderes.«
»Bei mir auch nicht und das macht mir allmählich Sorgen.«
Allmählich? Nylan wunderte sich.
Überraschenderweise stießen sie schon kurz nach der Mittagszeit auf eine Stelle, wo der Weg einen Hügel erklomm und parallel zu einer größeren Straße verlief, die etwas weiter im Westen lag.
»Ist das die Straße, die du meintest?«, fragte Ayrlyn.
»Das ist sie. Wir müssen jetzt nach Stellen Ausschau halten, wo wir einen Hinterhalt legen können. Es müssen unübersichtliche Stellen sein, wo sie die Blockade erst bemerken, wenn es zu spät ist, und wo sie mit den Wagen nicht wenden oder ausweichen können. Außerdem müssen wir in der Nähe einen Vorrat von
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