Der Chaos-Pakt
gesehen.«
Ayrlyn runzelte die Stirn.
»Es braucht Zeit, gutes Werkzeug und viele Leute, um den Wald zu roden«, fuhr Nylan fort. »Die Bäume sind zu nichts zu gebrauchen und die größten könnte man nicht einmal mit schwerem industriellem Gerät bewegen. Es wäre also eine zeitraubende, mühsame Angelegenheit ...«
»Kann sein. Ich weiß es nicht.«
Nylan zerbröselte noch ein Stück harten Käse in kleine Krumen, die er Weryl in den Mund zu stecken versuchte. Da sie keine Milch hatten, war es nicht leicht, dem Jungen eine ausgewogene Ernährung zu bieten, zumal es für Früchte und Gemüse nicht die richtige Jahreszeit war.
»Hast du dich schon einmal gefragt, warum wir das hier überhaupt tun?«, grübelte Nylan. »Da reiten wir fast blindlings durch ein Land, mit dem wir früher verfeindet waren. Wenn du es dir richtig überlegst, grenzt das an Schwachsinn.«
»Ja und nein. Wäre es klüger gewesen, in Westwind zu bleiben?«, fragte die Heilerin.
»Wahrscheinlich nicht, wenn man bedenkt, wie Ryba geworden ist.«
»Oder würdest du lieber nach Osten gehen, nach Gallos?«
Nylan grinste müde. »Nein.«
»Welche andere Richtung bleibt uns dann noch? Oder hättest du dich lieber für den Rest unseres vermutlich eher kurzen Lebens in den Bergen versteckt?«
»Wenn du es so darstellst, fühle ich mich gleich besser. Ein wenig.« Angesichts der Tatsache, dass er nach wie vor keine Ahnung hatte, was er eigentlich tun wollte, abgesehen davon, dass ... abgesehen wovon? Nein, das Leben musste doch mehr zu bieten haben als den nackten Kampf ums Überleben. Oder etwa nicht? Er schüttelte den Kopf.
Weryl spuckte das letzte Stück Käse wieder aus, wenngleich zu einer weißlich-gelben Masse zerkleinert, die er über Ayrlyns Handgelenk sabberte.
»Ich glaube, jetzt hat er genug.« Ayrlyn setzte das Kind auf den Lehmboden neben dem Feuer und öffnete eine Wasserflasche, um sich den Kleister vom Handgelenk zu waschen. Ein paar Tropfen fielen zischend in die Glut.
Nylan nahm einen Stock, den er sich zurechtgeschnitzt hatte, um den Eintopf umzurühren, behielt aber die ganze Zeit Weryl im Auge. »Es wird immer noch eine Weile dauern. Vielleicht könntest du deine Lutar holen und etwas singen?«
»Später.« Ayrlyn sah zu Weryl, der eilig zur Tür der Schutzhütte kroch, um nach draußen ins Zwielicht zu kommen. »Später.«
Nylan gab Ayrlyn den Stock und eilte, seinen Sohn einzufangen.
XXX
A m Nachmittag des folgenden Tages waren die beiden Engel ein gutes Stück nach Norden und Westen vorgedrungen. Hier wurden die Hügel flacher und es gab mehr Katen und sogar einzelne Bauernhöfe, die hier und dort zu beiden Seiten der Straße erbaut worden waren.
Nylan wackelte abwesend mit den Fingern vor Weryls Nase herum und der Junge packte seinen Zeigefinger. Der Schmied zog den Finger gerade fest genug weg, dass Weryl ihn noch einen Augenblick halten konnte.
Nylan rieb sich das Kinn. Er war froh, dass er sich die Zeit genommen hatte, die Stoppeln abzuschaben, die beinahe schon ein Bart geworden waren, denn in der Nachmittagshitze hatte er stark unter den Haaren geschwitzt.
Ein Stück voraus bemerkte der Ingenieur einen Wagen, der von zwei Pferden gezogen wurde. »Der Verkehr wird stärker«, sagte er lachend. Er drehte sich kurz zu Ayrlyn um und wackelte wieder mit dem Finger, mit dem Weryl kämpfen sollte.
»Das wird auch Zeit.«
Als der Wagen sich ihnen näherte, zügelten Nylan und Ayrlyn rechts neben der Straße, wo auf der Böschung kurze grüne Halme durch das braune Gras des letzten Jahres lugten, die Pferde. Der Wagen holperte laut genug, um die Vögel, die auf der Weide neben der Straße nach Insekten suchten, zum Verstummen zu bringen.
»Seid gegrüßt«, sagte Nylan freundlich, als der Wagen ungefähr auf gleicher Höhe mit den Engeln war.
Der grauhaarige Kutscher sah die beiden wortlos an und wandte rasch den Blick ab, um auf die Straße vor dem Wagen zu starren.
»Ein freundliches Völkchen«, bemerkte Nylan beiläufig.
»Du wirst noch mehr von der Sorte zu sehen bekommen. Sie halten uns für böse Geister oder so etwas.« Ayrlyn deutete zur Straße vor ihnen. »Wir müssten bald einen Ort erreichen, er könnte sogar schon hinter dem nächsten Hügel liegen. Ich erinnere mich an einen Hügel, vor dem die Straße eine Kurve beschrieb wie hier. Gleich dahinter war dann der Ort. Er hieß Ginpa oder Hinpa oder so ähnlich. Jenseits der Stadt verläuft die Straße in nördlicher Richtung parallel
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