Der Chirurg von Campodios
konnten. »Ich heiße Vitus von Campodios, aber Vitus genügt für meine Freunde.« Er machte eine Pause, dann lächelte er leicht. »Und für meine Lebensretter.«
Der Alte grinste. Der Blonde hatte Humor. »Ich bin Haffissis«, antwortete er. »Für meine Freunde nur Haff. Und das ist Tom.« Er wies auf den Hund, der es sich zwischen den Überlebenden bequem gemacht hatte. Er lag auf der Seite und döste. Für ihn schien es die selbstverständlichste Sache der Welt zu sein, dass sein Rudel sich vergrößert hatte.
»Gestattest du eine Frage, Haff?«
»Nur immer heraus damit.«
»Wir sind hier im Neu-Spanischen, wieso sprichst du so gut englisch?«
»Weil ich Engländer bin«, erwiderte Haff knapp. Offenbar redete er nicht gern darüber.
»Verstehe.«
Haff wechselte das Thema. »Tom und ich haben dich und deine Leute im Wrack gefunden. Gestern Mittag war’s. Ich konnte nicht viel für euch tun, außer, euch erst mal ausreichend mit Flüssigkeit zu versorgen. Ihr saht aus wie nicht von dieser Welt. Vögel hatten schon an euch herumgepickt. Was ihr jetzt braucht, ist richtiges Essen und ein anständiges Lager, damit ihr wieder zu Menschen werdet. Ihr seid allesamt ja nur noch Haut und Knochen. In meiner Hütte wäre Platz genug, aber sie liegt eine halbe Meile entfernt im Wald.«
Haff unterbrach sich, um eine Libelle fortzuscheuchen. »An Kraft nehme ich es mit manchem Jüngeren auf, aber um euch zu mir nach Hause zu schleppen, sind meine Knochen denn doch zu alt. Also habe ich mir gedacht, ich päppele euch erst mal ein, zwei Tage hier auf, bis ihr wieder selbst gehen könnt.«
»Ich bin dir sehr dankbar, mehr, als ich ausdrücken kann. Ich hoffe, ich kann es irgendwann wieder gutmachen.« Vitus nahm die Rechte des Alten und drückte sie schwach. Dann blickte er sich forschend um. Wie Haff gesagt hatte, waren alle seine Freunde, einschließlich Phoebe, gerettet worden.
»Wenn du den Hahn vermisst, Vitus, den habe ich schon gestern zu meinen Hühnern in den Stall gesetzt. Nachdem ich euch an Land getragen und zu trinken gegeben hatte, musste ich zu meiner Hütte zurück, um mehr frisches Wasser zu holen. Während ich fort war, hat Tom auf euch aufgepasst. Tom ist sehr wachsam, und wenn’s drauf ankommt auch sehr wehrhaft, was, Tom, alter Junge?«
Tom döste weiter.
»Dem Hahn habt ihr es übrigens zu verdanken, dass ich euch gefunden habe. Wenn er nicht gekräht hätte, würdet ihr jetzt noch im Wrack liegen und wäret wahrscheinlich tot. Er kam mir wie gerufen, denn ich hatte keinen Gockel mehr. Mein alter machte zu gern Ausflüge, und im Regenwald lauern Ozelots, Krokodile und anderes Viehzeugs, wenn du verstehst, was ich meine. Ja, man muss schon aufpassen, wenn man in dieser Gegend überleben will. Du bist doch einverstanden, dass ich mir den Hahn genommen habe?«
»Selbstverständlich. Er heißt übrigens Jack.«
»Jack? Jack, der Hahn! Das gefällt mir. Bei mir haben alle Tiere Namen, und ich habe einige davon zu Hause. Na, du wirst sie noch kennen lernen.«
Haff erhob sich. »Komm hoch, Tom, genug gedöst, höchste Zeit, dass wir zur Hütte gehen. Du weißt, ich mag’s nicht, wenn das Feuer erlischt. Auf dem Rückweg bringen wir von dem Braten mit. Ich denke, Vitus, du bist so weit, dass ich dich und deine Leute für ein paar Stunden allein lassen kann. Hier, nimm, das dürftest du kennen.«
Er gab Vitus das Messer vom Schiff. »Ich habe es im Heck gefunden. Es ist ein guter Stahl.« Haff fasste unter seinen kurzen Rock und förderte ein Entermesser hervor. »Allerdings nicht halb so gut wie dieser hier.«
Vitus, der sich inzwischen mit Haffs Hilfe ebenfalls aufgerichtet hatte, prüfte das Entermesser. Es war sehr gut gearbeitet und außerordentlich scharf. Er ließ seine Fingerkuppe über die Schneide gleiten. »Du verstehst etwas von diesen Dingen?«, fragte er.
»So könnte man sagen«, entgegnete Haff und schulterte einen selbst gemachten Sack aus Ziegenfell. »Ich lasse dir drei geöffnete Kokosnüsse hier. Immer, wenn deine Leute etwas zu sich nehmen können, gibst du ihnen etwas Milch. Halte die Augen offen, bis ich wieder da bin. Hier in Strandnähe kommen wilde Tiere normalerweise nicht vor, aber man kann nie wissen. Gott befohlen.«
»Gott befohlen. Ich werde aufpassen.«
Am Abend war Haff zurück, diesmal schwer beladen mit allerlei Gepäck und Gerät. Er ließ den Fellsack zu Boden gleiten und verschnaufte erst einmal. Tom war derweil schon zu den Schiffbrüchigen gelaufen
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