Der Chirurg von Campodios
der Späne war unmöglich, außerdem hätte es zur Unterbrechung des Sägens geführt. Die Augen zu schließen verbot sich ebenfalls, denn der Schnitt musste ständig auf Geradheit überprüft werden. Also weiter, immer weiter …
Über eine Stunde war seit Beginn ihrer Arbeit vergangen, als Raúl plötzlich die Säge festhielt.
»Was ist los?«, fragte Jaime.
»Was soll schon los sein?«, kam es zurück. »Du weißt, wie es ist, wenn man auf dem Stamm steht. Der Armzug ist für den Obermann schwerer, weil er das Gewicht der Säge mit hochziehen muss. Höchste Zeit, dass wir mal tauschen.«
»Kommt nicht in Frage. Mach weiter.«
»Hör mal, wir wechseln uns spätestens alle Stunde ab, das war schon immer so.«
»Aber heute nicht.«
»Bei allen Jungfrauen Habanas! Mir tut das Kreuz weh und dir, das weiß ich genau, der Nacken. Und deine Augen sind so rot wie der Kehlsack eines Truthahns. Komm, wir tauschen.«
»Ich sagte nein!«
»Heilige Mutter Maria, hilf! Was ist nur in meinen Partner gefahren?« Raúl blickte in komischer Verzweiflung zum Himmel. Dann sprang er vom Stamm herunter und schritt hinter den Langofen, in dem ein starkes Feuer entfacht worden war. »Gut, gut, dann gehe ich erst mal pissen. Habe einen Druck auf der Blase wie ein Stier.«
»Ja, ja, schon gut.« Jaime überlegte, warum ihm alles, was Raúl sagte, peinlich vor der Kleinen war, und er kam zu dem Schluss, dass es mit der Hilflosigkeit, die von dem Geschöpf ausging, zusammenhing. Dann spürte auch er, dass er seine Notdurft verrichten musste, und er wollte es nicht in der Grube, im Beisein des unbekannten Mädchens, tun. »Warte«, sprach er freundlich in ihre Ecke, »ich verschwinde auch mal kurz. Lauf nicht weg, ich möchte dir nachher einen Vorschlag machen.«
Als beide Plankensäger kurz darauf zurückkamen, bestand Jaime abermals darauf, in der Grube zu arbeiten.
»In Gottes Namen, Jaime«, sagte Raúl, »geh nach unten, ich bin einverstanden. Aber nur, weil ich wegen heute Morgen noch was gutzumachen habe.«
Spät am Abend dieses ereignisreichen Tages kam Jaime heim zu seiner alten Hütte. Er blieb davor stehen und rief: »Hallo, Francisca, komm heraus!«
Und als seine Frau erschien, fragend, was los sei und was ihm einfiele, sie an die Tür zu holen, schob er eine schmale, gänzlich verhüllte Gestalt vor.
»Wir haben ein Kind.«
Der Schmied Haffissis
»
Ich nannte euch eben absichtlich ›Freunde‹, denn das seid ihr inzwischen für mich: gute Freunde. Noch nie in meinem Leben gab es so viele Menschen, die so viel für mich getan haben und die mir so ans Herz gewachsen sind.
«
D er Orkan letzte Woche hat uns die Küste ganz schön zerzaust, was, Tom, alter Junge?«
Tom, ein kräftiger brauner Mischlingsrüde, wedelte mit dem Schwanz und gähnte ausgiebig.
»Hast Recht, so aufregend war’s nun auch wieder nicht. Ist beileibe nicht der erste Orkan, den wir überstanden haben, was?«
Der Hund setzte sich, gähnte nochmals und hob den Kopf. Sein Herr, ein sehniger Alter, der die sechzig schon überschritten hatte, blickte prüfend über die zahllosen geknickten und entwurzelten Kokospalmen, die den Strand säumten. Dann spähte er auf das Meer hinaus, das an diesem Tag so glatt und unschuldig aussah, als hätte es sich noch niemals brüllend auf die Küste gestürzt. Er hatte noch gute Augen und ebenso gute Zähne, wie überhaupt festzustellen war, dass sein Körper nicht die Gebrechlichkeit zeigte, unter der viele andere Männer seines Alters litten. In seinem bartlosen Gesicht, das von scharfen Falten durchzogen war, stachen zwei Dinge besonders hervor: die buschigen hellblonden Augenbrauen, die trotz seiner Jahre noch kein einziges graues Haar aufwiesen, und der feste, schmallippige Mund. Seine Hände und Unterarme wirkten außerordentlich kräftig.
Er bückte sich und kraulte den Hund im Nacken. »Wollen doch mal sehen, ob es unter unseren gepanzerten Freunden ein paar gibt, die unserer Einladung gefolgt sind, was, Tom, alter Junge?«
Einträchtig gingen Herr und Hund den Strand hinab, wo sie neben einigen großen, ins Meer ragenden Felsen stehen blieben. Dann watete der Alte allein ins Wasser. Mit vorsichtigen Schritten näherte er sich dem Felsvorsprung, wo er am Meeresgrund seine selbst gebaute Reuse aufgestellt hatte. Er bückte sich und hob sie aus dem Wasser. »Aaah, ein gutes Dutzend dicker Krabben! Was sagst du dazu, Tom?«
Als Antwort krähte Tom.
»Tom?«
Wieder das Krähen. Es war schwach
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