Der Chirurg von Campodios
fallen!« Vitus trat vor und senkte höflich den Kopf. Dann, aufblickend, begann er: »Ich bin Engländer, Häuptling Okumba, und wir Engländer haben die Angewohnheit, nur vor einem einzigen Menschen dieser Welt auf die Knie zu fallen, und das ist unsere Königin Elisabeth.«
Okumba starrte ihn eine Zeit lang an. Dann antwortete er überraschend in Vitus’ Muttersprache: »Du bist stolz, Engländer. Ich akzeptiere das. Die Cimarrones kannten schon einmal einen stolzen Engländer. Sein Name war Kapitän Drake. Er und Häuptling Ktiko haben gut zusammengearbeitet beim Überfall auf Nombre de Dios. Das war im Jahr 1572.«
Vitus atmete insgeheim auf. Vielleicht standen ihre Chancen doch nicht so schlecht. »Mein Name ist Vitus.« Er fand es klüger, seinen Nachnamen nicht zu nennen, denn »Campodios« klang wahrhaftig nicht englisch. »Der junge Mann neben mir heißt Hewitt und ist ebenfalls Engländer. Mein Freund Ramiro García ist Spanier und Magister der Jurisprudenz, also alles andere als ein marodierender Bösewicht. Dasselbe gilt auch für Enano, den Zwerg, der aus Deutschland stammt. Wir sind Schiffbrüchige, Häuptling. Unser Boot trieb am 9. März an die Küste dieses Landes. Der Schmied Haffissis, von dem wir Euch grüßen sollen, fand uns halb tot am Strand. Ihm verdanken wir unser Leben. Er brachte uns wieder zu Kräften und bat uns, bei unserer Weiterreise Klingen für Euch mitzunehmen. Er sagte, es handele sich um eine Auftragsarbeit.«
Okumba wandte sich zur Seite und sprach rasch auf seine Nebenmänner ein. Dann nickte er und verfiel wieder ins Spanische: »Das mit der Auftragsarbeit stimmt. Aber dass ihr das wisst, beweist nicht eure Unschuld. Ihr könntet den Alten trotzdem getötet und beraubt haben.«
»Ganz im Gegenteil.« Vitus berichtete von dem Unterschenkelbruch, den Haff sich bei der Glockenreparatur zugezogen hatte und der von ihm und seinen Freunden nach Kräften versorgt worden war. »Haff erzählte einiges über die Fertigung von Glocken und deutete an, das Exemplar in seiner Werkstatt sei von Euch.«
»Auch das stimmt. Für den Transport waren ein Ochsengespann und fünfzehn Mann nötig. Die Fahrt dauerte drei Tage. Hat Haff die Reparatur zu Ende führen können?«
»Leider nein. Erst muss er sein Bein auskurieren. Eine junge Frau namens Phoebe, ebenso schiffbrüchig wie wir, ist bei ihm geblieben, um ihn gesundzupflegen.«
Okumba nickte unmerklich. »Die Glocke ist wichtig für uns. Sie bricht Blitze und stößt den Donner zurück, weshalb sie uns gute Dienste gegen feindliche Musketenschüsse leisten wird.«
Vitus staunte. »Ihr habt die Inschrift entziffert? Könnt Ihr Latein, Häuptling?«
»Moses kann Latein. Er lebte viele Jahre bei der Familie eines spanischen Silbermeisters in Cartagena. Die Zeit im Sklavenjoch nutzte er, um zu lernen. Heute ist er ein freier Mann wie wir, und seine Sprachkenntnisse sind eine gute Waffe im Kampf gegen die Weißen, die uns Schwarze grundsätzlich für dümmer als Vieh halten.«
Vitus schwieg.
»Es würde mich freuen, wenn es stimmt, dass ihr unserem Freund Haff geholfen habt. Aber auch das kann reine Erfindung sein. Was fehlt, ist der Beweis für eure Unschuld.«
Plötzlich hatte Vitus einen Einfall. »Die Schwerter und Degen, die für Euch bestimmt waren, Häuptling – habt Ihr sie Euch schon angesehen?«
Okumba schüttelte den Kopf. »Nein, warum?«
»Vielleicht gelingt der Beweis mit den Klingen!«
»Mit den Klingen?« Okumba winkte Dongo, der Hewitts Bündel hütete, zu. »Gut, sehen wir sie uns an. Leg sie hier vor mir auf dem Boden ab.«
Dongo trat vor, löste umständlich die Knoten und schlug mit einem Ruck das Lederfell auf. Fast schreckten der Riese und seine Beisitzer zurück, so sehr funkelten und blitzten ihnen die geschmiedeten Kostbarkeiten entgegen. Okumba fuhr sich über die Augen. Zögernd nahm er ein Schwert in seine mächtige Faust, tat einen Hieb durch die Luft, betrachtete das hervorgelockte Muster des Damaszenerstahls und prüfte die Schärfe der Schneide mit der Daumenkuppe. Dann reichte er die Klinge an seine Nebenleute weiter und nahm die nächste zur Hand. Der Vorgang wiederholte sich. Als er alle Stücke begutachtet hatte, murmelte er: »Wundervolle Arbeiten. Eigentlich viel zu schade, um damit spanische Schädel zu spalten. Wir stehen tief in Haffs Schuld. Was wir ihm im Voraus gegeben haben, ist nicht annähernd so viel wert wie diese Kostbarkeiten. Ich werde so bald wie möglich ein paar Männer
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