Der Chirurg von Campodios
Baum?«, fistelte der Zwerg gegen den Rücken des Magisters. »Wiewo? Ich späh nix!«
»Pssst, seid mal ruhig da vorn und haltet an!«, flüsterte Vitus. Er glaubte ein Geräusch gehört zu haben, eines, das anders klang als das markerschütternde Kreischen der Papageien und das Schimpfen der Affen in den Bäumen.
»Pssst!«, machte er abermals. Er lauschte angestrengt. Doch die Laute des Regenwalds, hohl und hallend und vielfach befremdlich, klangen nicht anders als sonst.
Der Winzling wisperte: »Wui, hab die Lauscher wohl auf, aber ’s is nix, ich schwör’s bei der heiligen Marie.«
Der Magister und Hewitt zuckten mit den Schultern.
»Dann muss ich mich wohl getäuscht haben.« Vitus blickte sich um und sah – einen Pfeil. Der Pfeil steckte in einem Baum, und sein Schaft zitterte noch.
»Achtung, ein Pfeil!«, wollte er rufen, doch es war schon zu spät. Plötzlich flogen zahllose Pfeile heran, von allen Seiten, und in dem Schwirren erkannte er das rätselhafte Geräusch. Er spürte einen Schlag gegen seine linke Schulter, wirbelte herum – und blickte in eine Reihe schwarzer Gesichter. Er sah zur anderen Seite. Auch da: viele schwarze Gesichter. Und über ihm im Geäst ebenfalls, genauso wie in seinem Rücken.
Sie waren komplett umstellt.
Keiner von den Freunden – Wunder oder Absicht? – schien getroffen worden zu sein. Nur in Hewitts Bündel steckten zwei Pfeile.
»Was soll das?«, herrschte Vitus den Kopf an, der ihm am nächsten war. Er versuchte, seine Stimme überlegen klingen zu lassen. »Wir kommen als Freunde.«
Der Kopf trat aus dem Dickicht hervor. Die Gestalt eines muskulösen Schwarzen von mittelhohem Wuchs wurde sichtbar. Neben ihm tauchten weitere Männer auf. Alle hatten eine dunkle Hautfarbe und waren nahezu unbekleidet. Sie trugen nur einen kurzen Schurz mit Gürtel, in dem Kriegskeulen, Degen oder Messer steckten. Alle waren mit starken Bögen bewaffnet. Und alle wirkten überaus selbstsicher.
Der Angesprochene musterte Vitus aus harten Augen. »Wer kommt hier, ist nicht Freund.« Er sprach ein abgehacktes, schlechtes Spanisch. »Nieder mit Waffen!«
Die Geste, mit der er seine Forderung unterstrich, war eindeutig, weshalb selbst Hewitt, der kein Spanisch konnte, ihn verstanden hatte. Der junge Matrose wollte schon das Bündel mit den kostbaren Klingen ablegen, da hob Vitus Einhalt gebietend die Hand. So leicht wollte er sich nicht geschlagen geben. »Wir kommen in friedlicher Absicht, sind auf dem Weg zu den Cimarrones, von wo aus wir weiter nach Nombre de Dios wollen. Wir sind sozusagen nur auf der Durchreise.«
»Nieder mit Waffen oder sterben!«
Der Kreis der Schwarzen schloss sich drohend. Ein paar der Krieger legten neue Pfeile auf die Sehnen ihrer Bögen. Einige Hände griffen zur Streitaxt.
Vitus resignierte. Der Feind war zu zahlreich und eine Flucht unmöglich. »Wir beugen uns der Übermacht. Legt die Sachen ab, Freunde.« Er selbst schnallte seinen Degen los und legte ihn zusammen mit der Muskete auf den Boden. Aufblickend sagte er zu den Schwarzen: »Seid vorsichtig, die Muskete ist geladen.«
»
Callarse la boca!
Maul halten!«
»Wie ihr wollt.« Vitus sah, wie der Schwarze mit den harten Augen seine Muskete hochnahm, um sie von allen Seiten zu betrachten. Mehr zufällig als absichtlich entfernte er dabei den Deckel der Zündpfanne, senkte den Hahn und betätigte den Abzug.
Einen Wimpernschlag später löste sich der Schuss. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, die Kugel schoss nach oben, zersprengte das Blätterdach des Dschungels und sorgte für einen grünen Wirbel aus unterschiedlichstem Blattwerk, der alsbald auf Freund und Feind herabregnete. Der Schütze machte ein verblüfftes Gesicht, dann begann er lauthals zu lachen. Seine Kameraden stimmten mit ein. »Hohoho, hoa, hao, das lustig!« Nochmals betätigte er den Abzug. Als nichts geschah, hängte er sich die Muskete über die Schulter und wurde übergangslos wieder ernst:
»Du Munition? Geben Munition!«
»Ich habe keine.« Es kam nicht in Frage, dem Burschen auf die Nase zu binden, dass sich im Fellsack noch Pulver und weitere Kugeln befanden. Vitus nahm ihn von den Schultern und bemerkte zu seiner Überraschung, dass er rot von Blut war. Es war sein eigenes Blut. Der Schlag gegen seine Schulter war ein Streifschuss gewesen, harmlos offenbar, aber heimtückisch. Zorn schoss in ihm hoch. »Wer seid ihr, dass ihr harmlose Wanderer überfallt?«
»Du fragen, nix Antwort.
Callarse la
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