Der Chirurg von Campodios
Händen fortzujagen, begann der kleine Gelehrte die schauerlichsten Grimassen zu schneiden. Doch sosehr er das Gesicht auch in Falten zog, das Tier dachte nicht daran, wieder fortzufliegen. Schließlich stellte er seine Bemühungen ein und machte seinem Herzen Luft: »Beim Blute Christi! Habe ich das alles durchgemacht, nur damit ich an einem Insektenstich sterbe? Hier, an diesem Ort der Gesetzlosen, wo man für nichts und wieder nichts seiner Freiheit beraubt wird? Bin gespannt, wann dieser Herr Okumba, der alle Zeit der Welt zu haben scheint, uns gnädigst empfängt! Wahrscheinlich liegt er gerade bei einer seiner Gespielinnen, während wir hier schmoren. Ein Gentleman erster Güte mit untadeligen Manieren, das muss ich schon sagen. Von seiner bisher erwiesenen Gastlichkeit jedenfalls habe ich die Nase voll.«
Endlich bequemte sich das Insekt, des kleinen Mannes hohe Stirn zu verlassen. Es schwirrte durch die Luft davon. »
Deo gratias!
Die Bestie hat es sich anders überlegt. Nun, es wäre auch geradezu lächerlich gewesen, an einem schnöden Stich zu sterben.«
»Vielleicht nicht der schlechteste Tod«, erwiderte Vitus, grimmig den Boden anstarrend, »wer weiß, was Okumba mit uns machen wird.«
In diesem Augenblick öffnete sich der Vorhang in der Vorderfront des großen Hauses, und Moses trat heraus. Er winkte mit der Hand und rief den Bewachern etwas zu. Die Freunde verstanden es nicht, wurden aber nicht lange im Unklaren gelassen über das, was mit ihnen passieren sollte. Man stieß sie unsanft vom Stamm herunter und führte sie direkt in das Haus hinein.
Beim Eintreten erkannten sie zunächst nichts. Der halbdunkle Raum wurde nur von wenigen Öllampen erhellt. Erst als ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sahen sie eine Gruppe Schwarzer am Boden hocken. Es waren ausschließlich Männer, und sie saßen in der Form eines weiten U.
Moses legte den Finger an die Lippen und bedeutete ihnen, neben dem Eingang zu warten. Einige Zeit verging, während die Schwarzen heftig durcheinander palaverten. Wenn man davon absah, dass sie keine Waffen trugen, unterschieden sie sich in nichts von jener Gruppe, die Vitus und seine Freunde gefangen genommen hatte. Es waren allesamt gut gebaute, kräftige Kerle, die temperamentvoll aufeinander einredeten. Manche davon schon älter, wie man an ihrem grauen Kraushaar sah, einige wenige noch sehr jung. Die meisten von ihnen rauchten gerollte Tabakblätter, ein Kraut, das sie »Sigar« nannten und das beim Abbrennen dicke, beißende Qualmwolken erzeugte. Die Luft im Raum war geschwängert davon.
Endlich schienen sie sich einig geworden zu sein, denn alle bis auf drei sprangen auf und verließen einer nach dem anderen den Raum.
Übrig blieb ein herkulisch gebauter Schwarzer, der an der Schmalseite des U saß. Er trug zum Zeichen seiner Würde einen Schulterumhang aus dem Fell des Ozelots und eine Kette aus Krokodilszähnen. Links und rechts von ihm hockten zwei ältere, misstrauisch dreinblickende Männer. Der Riese musterte die Freunde eingehend, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Im Halbdunkel stach das Weiße seiner Augen aus dem ebenholzschwarzen Gesicht hervor. »Ich bin Okumba«, sagte er schließlich mit tiefer, etwas heiserer Stimme. »Und neben mir seht ihr die Beisitzer meines Gerichts. Unser Rat hatte wichtige Entscheidungen zu treffen, deshalb musstet ihr warten.«
Okumba sprach ein Spanisch mit starkem afrikanischem Akzent, dennoch war er, weil er die Worte langsam wählte, gut zu verstehen. »Dass ihr lebt, habt ihr allein Moses zu verdanken, der nicht daran glaubt, dass ihr meinen Freund Haffissis getötet und beraubt habt.«
Der Riese wies auf Moses, der, ebenso wie Dongo, im Raum geblieben war, um die Freunde zu bewachen. »Dongo ist anderer Meinung. Er ist überzeugt, dass ihr marodierende Spanier seid, gierig nach Silber und Gold, zumal der Punkt, an dem er auf euch traf, nur wenige Meilen vom Königsweg entfernt liegt.«
Die Freunde blickten sich verständnislos an.
»Vielleicht wisst ihr es wirklich nicht: ›Königsweg‹ nennt man den Saumpfad, der von Panama herüber nach Nombre de Dios führt; auf ihm transportieren die Spanier jedes Jahr ihre unermesslichen Gold- und Silberschätze, um sie anschließend mit der Armada übers Meer zu verschiffen. Nun, wir werden sehen, wer am Ende Recht hat: Moses oder Dongo. Davon wird abhängen, ob ich euch töten lasse oder nicht.«
Dongo zischte die Gefährten an: »Los, Knie fallen, Knie
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