Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
schwieg sie. Das gab Marou Gelegenheit, sie eingehender zu mustern. In der Tat handelte es sich um eine junge Frau, die von guter Gesundheit zu sein schien. Jedenfalls deuteten ihre Bewegungen keinerlei körperliche Gebrechen an. Wahrscheinlich waren ihre Beschwerden äußerlicher Art, nichts Lebensbedrohendes. Das traf sich gut, denn die hohe medizinische Kunst, etwa operative Eingriffe oder Diagnosen nach der Säftelehre, war Marous Sache nicht. Ihre Stärken lagen auf anderen Gebieten, auf Gebieten, die von der Wissenschaft unerklärbar waren – unerklärbar wie ihre Gabe, die Menschen so fest an die Gesundung glauben zu lassen, dass sie tatsächlich genasen. Diese Fähigkeit, zusammen mit einer guten Portion Menschenverstand und viel Beobachtungsgabe, hatte ihr als Heilerin eine gewisse Berühmtheit eingetragen. »Ich heiße Marou«, sagte sie. »Wer bist du und wer schickt dich zu mir?«
    »
Buenos días.
Niemand schickt mich.« Die Stimme unter dem Gewand klang gedämpft. Dennoch erkannte Marou sofort, dass die Unbekannte keine Spanierin sein konnte. Und auch keine Portugiesin, dafür war ihr Akzent zu stark. War sie eine Französin? Kaum, das hätte eleganter geklungen. Wahrscheinlich war sie Engländerin. Engländerin, ja, das mochte sein.
    »Francisca Hoyelos sprach davon, dass sie dank deiner Künste schwanger wurde. Sie ist des Lobes voll über dich. Das brachte mich auf den Gedanken, dich zu fragen, ob du auch mir helfen kannst.«
    »Nanu, du willst schwanger werden? Warum? Vielleicht bist du es am Ende schon?« Marou kicherte erneut.
    »Oh, nein, nein …!« Die Fremde, bei der es sich um keine andere als Louise handelte, verstummte.
    »Nimm an, ich habe nur gescherzt.« Offenbar hatte die junge Frau Verkehr mit einem Mann gehabt, der nicht ihr Ehemann war. Vielleicht nicht einmal ihr Geliebter. In jedem Fall wollte sie kein Kind, und ihr Problem lag, wie vermutet, ganz woanders. Dafür sprach auch ihre tiefe Verhüllung. »Ich nehme an, es geht um … deine Haut?«
    »Woher weißt du das?«
    Marou lachte glucksend. »Ich weiß mehr als andere. Wär’s nicht so, wäre ich keine Heilerin.«
    »Ja, es geht um meine Haut«, bestätigte Louise. »Und du bist meine letzte Hoffnung.«
    »Komm näher, meine Augen wollen nicht mehr so. Sei ohne Furcht. Ich habe wohl bemerkt, dass du mir deinen Namen nicht sagen willst, aber Namen sind Hülsen. Was darin steckt, zählt. Nur das! Nun komm schon, wenn jemand dir helfen kann, dann bin ich es.«
    Mit schnellen Schritten trat Louise dicht vor Marou hin. Im Licht des Feuers erkannte die Heilerin, dass sie graugrüne Augen und seidige rotblonde Wimpern hatte. »Wenn dein Gesicht so schön ist wie deine Augen, hat Gott der Allmächtige dir viel mit in die Wiege gegeben.«
    »Mein Gesicht ist nicht schön. Schon lange nicht mehr.« Mit einem entschlossenen Ruck zog Louise sich das Gewand über den Kopf.
    Marou verschlug es die Sprache.
    Noch nie hatte sie eine solche Entstellung gesehen. Nur die Augenlider, die Nase und die Lippen waren frei geblieben, alles andere war beidseitig befallen – von bläulich roten, teilweise nässenden Pusteln. Nicht das kleinste Fleckchen hatte die Krankheit ausgespart. Sie zog sich hinunter bis zum Hals, wo sie, wie zum Hohn, übergangslos endete und zarter, weißer, makelloser Haut Platz machte.
    Marou fing sich. In ihr runzliges Gesicht trat ein mitleidiger Ausdruck. »Du hast Schmerzen?«
    »Ja, sehr.« Louises Stimme klang verzweifelt. »Es brennt wie Feuer. Manchmal, nach zwei oder drei Wochen, heilen die Stellen ab, aber sie kommen immer wieder. Und der Schmerz ist ständig da. Es ist wie eine Geißel, die fortwährend zuschlägt.«
    »Ich verstehe. Dein Leiden ist doppelt groß. Zu der körperlichen Pein kommt die Hoffnungslosigkeit. Die Krankheit ist wahrhaftig böse, sehr böse.«
    »Wie nennt sich die Krankheit? Sag, ist sie heilbar? Ist sie heilbar?« Plötzlich verlor Louise die Fassung. Sie rang die Hände, und die Augen wurden ihr feucht. Doch gleich darauf atmete sie tief durch und streckte sich. Die Tränen traten zurück. Marou erkannte, dass vor ihr jemand stand, der kämpfen wollte. Das war gut.
    Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Prüfte noch einmal jede einzelne befallene Partie, roch an den Pusteln, entdeckte bei näherem Hinsehen einige feine Bläschen, befühlte die Lymphknoten unter den Ohren, besah sich die nässenden Stellen. Dann sagte sie langsam:
    »Es gibt Tausende von Rosen auf dieser Welt, doch von

Weitere Kostenlose Bücher