Der Chirurg von Campodios
tun?«
Während das Wasser unbarmherzig höher stieg, drangen von oben Befehle, Schreie, Kommandos in die Tiefen des Schiffs. Es schien ein Kampf auf Biegen oder Brechen entbrannt zu sein, was kein Wunder war angesichts der Tatsache, dass Jawys Männern nichts anderes als die Flucht nach vorn blieb. Da sie ihr eigenes Schiff mit Sicherheit verlieren würden, mussten sie das fremde kapern, koste es, was es wolle.
Und das Wasser stieg und stieg, es stand Vitus bis zur Schulter, dem Magister bereits bis zu den Nasenlöchern …
Vitus faltete die Hände und begann zu beten. Einer Eingebung folgend, betete er mit denselben Worten, die er gefunden hatte, als er kielgeholt wurde:
»Herr, Du bist mein Schild und mein Trost,
mein Fels und mein Schutz,
Du bist bei mir in der Not.
Herr, ob ich den Kelch trinken kann,
den Du getrunken hast, weiß ich nicht,
doch ich weiß, Du schaffst Hilfe dem,
der sie von Dir erfleht …«
»Wui, wui, Hilfe! Hier isse schon!«, klang eine Fistelstimme dazwischen.
Wer war das? Das war doch … Tatsächlich! Es war der Zwerg! Er schwamm vor ihrer Zelle, auf einem klobigen Schemel rudernd. »Wie strömt’s euch beiden denn?«
»Mensch, Enano, wo kommst du denn her? Gibt’s dich noch? Wo warst du so lange? Was ist mit Hewitt? Kannst du uns helfen?«, redeten die Freunde durcheinander, von neuem Mut beseelt.
»Wui, wui, gewisslich doch, Schäntelmin! Habe den Hausknochen dabei.« Der Winzling hielt einen dreizinkigen Schlüssel hoch. »Hab ihn von Jawy gestochen!«
»Von Jawy?«, wunderte sich Vitus. »Ich dachte, du hättest versucht, den Schlüssel von Blubber …«
»Bah! Blubber! Hat Manschetten vorm Wind!« Der Gnom kicherte und tauchte den Schlüssel ins Wasser ein, denn das Gitterschloss war bereits nicht mehr zu sehen. Er zog die Stirn kraus, stülpte sein Fischmündchen vor, stocherte eifrig herum und rief endlich: »Auf is die Schränke! Nun walzt heraus, geschwind, geschwind!«
Das ließen sich die Freunde nicht zweimal sagen. Halb gehend, halb schwimmend, strebten sie hinaus auf den Gang, arbeiteten sich zum nächsten Niedergang vor, von dessen Stufen nur noch die beiden obersten aus dem Wasser ragten. Ein Bild des Schreckens bot sich ihnen hier, denn es war der Ort, wo Blubber und seine Kumpane vom Splitterregen gefällt worden waren.
Vitus nahm sich nicht die Zeit, über den Grauen erregenden Anblick nachzudenken, sondern griff sich einen Degen und gab auch dem Magister eine Waffe. »Wir müssen uns oben unserer Haut erwehren können!«
»Du sagst es. Ich kann zwar nicht besonders weit sehen, aber wehe demjenigen, der in meine Nähe kommt!« Der kleine Gelehrte wirkte sehr entschlossen. »Wer zur See fährt, lernt beten, sagen die spanischen Matrosen, und wie man sieht, wirkt das auch. Dank dem Allmächtigen und dank Enano!«
»Wui, wui, ihr zwo! Macht nich so große Worte nich.« Der Winzling wirkte so fröhlich, als befände er sich auf einem Jahrmarkt, wo Mummenschanz und Gauklerei die Sinne erfreuten. Doch die Fröhlichkeit des Zwergs hielt nicht lange vor – zu blutig war das, was sich den Augen der Freunde an Deck bot. Überall auf der Backbordseite wurde gekämpft, geschlagen, gerungen. Die Piraten, des eigenen Untergangs gewiss, kämpften mit allem, was sie hatten, und wenn sie nichts mehr hatten, nur noch mit Zähnen und Klauen. Auch Hewitt war dabei. Er wurde von einem drahtigen Mann angegriffen, der ein riesiges Entermesser schwang. Die Augen des Drahtigen blitzten, es schien ihm einen Höllenspaß zu machen, auf den armen Hewitt einzudreschen. Kaum konnte der junge Matrose sich der wütenden Schläge erwehren.
»Ich komme! Halt aus, Hewitt!«, schrie Vitus und stürzte vor. »Bleib hinter mir, Magister! Enano, pass auf dich auf!«
Doch Vitus kam nicht heran, vor ihm, neben ihm, überall wurde gekämpft. Ehe er sich’s versah, musste er sich selbst verteidigen. Er parierte den Schlag eines baumlangen Kerls, stieß ihn zurück und sprang weiter vor, wollte zu Hewitt – und blieb vor Verblüffung stocksteif stehen. Der Drahtige, der den jungen Matrosen so bedrängte, war McQuarrie. McQuarrie, der Maat der
Falcon
, des Schiffs von Taggart! McQuarrie war Schotte und schlachtenerprobt wie so viele der
Falcons
. Erst jetzt, bei näherem Hinsehen, erkannte Vitus das eine oder andere Gesicht. Richtig, da hinten, auf dem Oberdeck, focht John Fox, der rotblonde Hüne, der als Erster Offizier unter Taggart diente. Er kämpfte mit ein paar Männern
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