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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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gegen Jawy, den Menschenschlächter, und den letzten Rest seiner Spießgesellen. Vitus wollte rufen, doch ein neuerlicher Angriff richtete sich gegen ihn. Unbekannte Männer drangen auf ihn ein. Er sprang zurück, den Magister mit sich ziehend. Mit ein, zwei Ausfällen verschaffte er sich Respekt. Wieder ging sein Blick zu Hewitt, der in diesem Augenblick in höchste Not geriet. Er war getaumelt, hatte seine Waffe verloren und erwartete den Todesstoß des drahtigen Schotten.
    »McQuarrie! Halt! McQuarrie!« Vitus schrie so laut, wie er es eben vermochte, und riss sich die Hemdstreifen von den Ohren. Und tatsächlich: Für den Bruchteil eines Augenblicks ließ der Schotte sich ablenken, blickte zu Vitus herüber und – erkannte ihn.
    »Der Cirurgicus! Bei der Seele meiner Mutter! Was macht Ihr denn hier?«
    »Lasst den Jungen, McQuarrie, er ist ein Freund. Genauso wie der Magister hier an meiner Seite.«
    »Der Herr Magister persönlich!« McQuarrie kam aus dem Staunen nicht heraus. »Das nenne ich eine Überraschung! Nun, Sir, Eure Freunde sind selbstverständlich auch die meinen. Der Junge hat Glück gehabt. Ich wollte ihm gerade das Lebenslicht auspusten. Übrigens, Sir, wenn ich Euch einen Rat geben darf, begebt Euch rasch an Bord der
Falcon
, der Kahn hier säuft gleich ab!« Er winkte seinen Männern. »He, Leute, macht Schluss mit dem Piratenpack! Kämpfe einstellen und zurück an Bord, zurück an Bord!«
    »Danke für den Rat, McQuarrie, aber ich muss noch einmal ins Mannschaftslogis, meine Habe befindet sich dort.«
    »Aye, Sir.« Der Schotte, der ein Mann schneller Entschlüsse war, nickte. »Ich gebe Euch ein paar
Falcons
mit, dann trägt sich’s leichter.«
    Vitus atmete durch. Wie von Zauberhand war plötzlich Friede auf Deck eingekehrt. Die wenigen Piraten, die noch am Leben waren, hatten sich ergeben oder lagen verwundet am Boden. Nur achtern, als einer der Letzten, wehrte Jawy sich mit blitzender Klinge gegen die Streiche von John Fox.
    »Gehen wir«, sagte Vitus, und der kleine Gelehrte pflichtete ihm bei: »Ja, gehen wir. Süß ist die Freiheit. Und von unschätzbarem Wert!«
     
    Kapitän Sir Hippolyte Taggart war kein Mann unnützer Worte. Er war bekannt dafür, hart, aber gerecht zu sein. Oder, wie manche seiner Männer hinter der vorgehaltenen Hand meinten: »Der Alte hat ’ne raue Schale, aber ’n weichen Kern. Darfst ihn bloß nich merken lassen, dassde ’s weißt.«
    Taggart war schon in den Fünfzigern, groß, hager, um nicht zu sagen knorrig, und seine ganze Liebe galt noch immer der See. Und seinen Männern. Er hätte es nie im Leben zugegeben, aber er liebte seine
Falcons
. Und die
Falcons
liebten ihn.
    Taggart war ein hochdekorierter Mann. Nach einem außergewöhnlich erfolgreichen Kaperzug anno 70 und 71 hatte Ihre Majestät Elisabeth I. von England es sich nicht nehmen lassen, ihn zum Ritter zu schlagen. Dies nicht zuletzt, weil sie inoffiziell an der Unternehmung beteiligt gewesen war und ein erklecklicher Teil der Beute ihre Privatschatulle bereichert hatte. Seitdem hieß Taggart nicht einfach nur Taggart oder Captain Taggart, sondern Sir Hippolyte, und so ehrenhaft der Titel auch sein mochte, Taggart hasste ihn, denn er hasste seinen Vornamen.
    Eine weitere Besonderheit an Taggart war, dass er niemals lachte, was nicht an mangelndem Humor lag, sondern seine Ursache in einem spanischen Schwerthieb hatte, der ihn vor vielen Jahren in der Karibik ereilte. Der Hieb hatte ihm die linke Gesichtshälfte gespalten, und die Wundränder waren später schief zusammengewachsen, wodurch ihm fortan der linke Mundwinkel herabhing und für einen immer währenden bärbeißigen Ausdruck sorgte. »Guten Tag, Cirurgicus«, rief Taggart und verzog keine Miene, obwohl er sich ehrlich freute, Vitus an Bord zu haben. »Ich hatte mir den Anlass unseres Wiedersehens erbaulicher gewünscht, aber immerhin …« Er ließ den Rest des Satzes unausgesprochen und winkte Vitus und den Magister hinauf zu sich aufs Kommandantendeck. »Auch Ihr, Magister García, seid mir willkommen.«
    McQuarrie, der an Oberdeck blieb, da er nicht eingeladen worden war, meldete stramm: »Feind ist niedergekämpft, Sir. Nur der Erste scheint mit dem Piratenhäuptling noch nicht fertig zu sein.« Er machte eine Pause und sagte dann: »Wie ich unseren Ersten kenne, ist das aber nur eine Frage der Zeit, wenn die Bemerkung gestattet ist, Sir.«
    »So, meint Ihr, Maat McQuarrie.« Taggart wirkte ungerührt, zumindest im Gesicht,

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