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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Untergang geweihtes Wrack. Alle Enterhaken, Seile und sonstigen Verbindungen zu ihr waren in Windeseile von den
Falcons
gelöst worden, damit sie das eigene Schiff nicht mit in die Tiefe zog. Auf dem achtersten, höchsten Deck stand Jawy allein und schaute herüber. Sein Blick hatte wieder den berüchtigten wilden, überheblichen Ausdruck. Da! Ein Ächzen ging durch die
Vigilance
, den einstigen Stolz der
New Fighting Galleons
. Ihr Rumpf sackte abrupt ein weiteres Stück ab, so dass nur noch das Kommandantendeck mit Jawy und dem behelfsmäßigen Besan aus dem Wasser ragte.
    »Da geht sie hin mit ihrer schwarzen Mörderflagge«, murmelte Taggart mehr zu sich selbst, »gottlob, dass sie das ehrenvolle englische Tuch, unser rotes Kreuz auf weißem Grund, nicht mehr führt.« Sein Kopf fuhr herum, denn während er das sagte, hatten seine Männer lautstark ein Lied angestimmt; es war das Lied der
Falcons
, das Lied, das sie zusammenschweißte, das Lied, mit dem sie in den Kampf zogen und siegten:
    »
Brave bird
, Falcon,
brave bird,
    fights like an eagle,
    fights like a knight,
    fights by day
    and fights at night,
    spreads horror and spreads hurt,
    brave bird, brave bird,
    Falcon,
brave bird.
«
    »Bin gespannt, was Jawy dazu sagt.« Taggart reckte das Kinn vor und spähte zu dem Piraten hinüber, von dem nur noch der Kopf aus dem Wasser ragte. »Sieh da, er reagiert.«
    Der Anführer grüßte herüber, und wieder lag der überhebliche, ja hämische Ausdruck in seinem Gesicht. Doch dann, schlagartig, änderte sich das. Jawys Blick wurde steinern, seelenlos, und mit einem Knirschen, das bis zur
Falcon
herüberklang, hakte er seinen Unterkiefer aus:
    »Pirate’s blessing
    is slitting,
    is killing,
    … is maha-ssa-cring!«
    Dann schlugen die Wellen über seinem Kopf zusammen.
    »Tipperton! Tip – per – ton! Bei allen Tritonshörnern! Wo bleibt der Schiffsschreiberling nur? Tip – per – ton!« Taggart saß in seiner spartanisch eingerichteten Kajüte und brüllte mit Stentorstimme. Endlich waren seine Bemühungen von Erfolg gekrönt, denn es klopfte zaghaft. »Herein!«
    »Bin schon zur Stelle, Sir.« Der Schiffsschreiber war ein verweichlicht wirkender, schmächtiger Mann, dessen Erscheinung so sehr jedes militärischen Anspruchs spottete, dass selbst Taggart es ihm nachsah, wenn er sich unmilitärisch benahm. Auf Flinkheit allerdings wollte der Kommandant nicht verzichten, und wenn sie nicht an den Tag gelegt wurde, wehte ein Sturm durch die Kajüte.
    »Tipperton, stellt fest, wen McQuarrie von den Piraten für tauglich befindet, ein
Falcon
zu werden, und dann … Himmelherrgott noch mal, was starrt Ihr für Löcher in die Luft? Ach so. Nun, Ihr konntet es vielleicht nicht wissen. Ja, dort sitzen leibhaftig der Cirurgicus und der Magister García. Sie wurden auf dem Piratenschiff gefangen gehalten. Dem Allmächtigen sei Dank, dass wir sie retten konnten.«
    »Aye, aye, Sir.« Tipperton hatte sich wieder in der Gewalt. »Und dann, Sir?«
    »Was: und dann?«
    »Ihr sagtet eben: ›und dann‹, Sir.«
    »So, tat ich das? Ach so, und dann schickt mir Fernandez her. Der Zweite wird Bauklötze staunen über unseren Besuch.«
    Taggart behielt Recht. Als Fernandez, der Navigator und Zweite Offizier der
Falcon
, wenig später auf der Bildfläche erschien, drückte sein Gesicht ein Wechselbad der Gefühle aus. Neugier, Ungläubigkeit und helle Freude standen nacheinander darin, und er ließ es sich nicht nehmen, die Freunde mit einem kräftigen Händedruck zu begrüßen.
    »Wir haben von Euch immer mal wieder etwas gehört, Cirurgicus, allerdings nur von heimfahrenden Seglern, und so waren es wohl eher Gerüchte. Man sagte, Ihr würdet Lady Arlette in Habana suchen, aber wie ich sehe, ist das Unsinn, sonst hätten wir Euch nicht auf einem Piratenschiff gefunden.«
    »Die Gerüchte stimmen, Mister Fernandez. Doch verzeiht, ich möchte im Augenblick nicht darüber reden.«
    Die klugen Augen des Navigators blickten verständnisvoll. »Natürlich, Ihr müsst viel durchgemacht haben.«
    »Und darüber wird zu sprechen sein«, warf Taggart ein. »Jedoch nicht jetzt, Zweiter. Ich habe Euch rufen lassen, weil Ihr den Guineaman aufbringen sollt. Das Schiff ist zwar nur ein Spanier, aber solide gebaut, und Gott allein weiß, wozu es uns noch von Nutzen sein kann.«
    Fernandez, dem die schnellen Entschlüsse seines Kommandanten nichts Unbekanntes waren, verbarg seine Überraschung. »Aye, aye, Sir. Habe ich freie Hand bei der

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