Der Chirurg von Campodios
wird.«
Die Anwesenden hatten sich ebenfalls erhoben, schmunzelten ob der eigenwilligen Formulierung und tranken. Aber der Kommandant war noch nicht fertig. »Außerdem trinke ich auf den Cirurgicus, mit dem ich auf eine besondere Weise verbunden bin, denn er wurde seinerzeit an Bord meiner
Thunderbird
geboren, was mich fast zwang, zur Hebamme zu werden …« Er blickte um sich, und pflichtschuldiges Lachen schlug ihm von allen Seiten entgegen. »Schon gut, Gentlemen, ich denke, jeder von Euch kennt die Geschichte zur Genüge. Trinken wir also auf den Cirurgicus!«
Nachdem die Gläser geleert waren und alle wieder saßen, fuhr Taggart ungewöhnlich redselig fort: »Das waren noch Zeiten, was, John? Ihr wart der Einzige, der auf der
Thunderbird
schon dabei war, außer dem Cirurgicus, der natürlich von alledem nichts mitbekam. Ihr wart Schiffsjunge und Pulveräffchen in einem und, wenn man so will, auch noch Assistent von Whitbread, dem alten Kurpfuscher, der den Cirurgicus mit eigenen Händen auf die Welt gezogen hat.«
»Aye, Sir. Das ist lange her.« John Fox war es ein wenig peinlich, vor versammelter Gesellschaft als Pulveräffchen bezeichnet zu werden.
»Ja, ja, die Zeit ist eine lautlose Feile. Ich spür’s in sämtlichen Knochen. Wäre früher nicht vorgekommen, dass ich wie heute einen Angriff vom Kommandantendeck aus befehligt hätte.«
»Sir, der Kapitän muss den Überblick haben, und den hat er am besten vom höchsten Punkt aus.«
»Nett, John, dass Ihr das sagt. Aber dieses Zur-Untätigkeitverdammt-Sein hat mich schon beim letzten Tänzchen mit der
Torment
gewurmt.«
»Also doch!«, entfuhr es Vitus. »Ihr habt schon einmal gegen die
Torment of Hell
gekämpft?«
»So ist es, nicht wahr, John?«
»Aye, Sir. Sogar schon mehrere Male, und jedes Mal ist sie uns irgendwie entwischt.« Der Erste lehnte sich zurück und spreizte die Beine, eine Angewohnheit, die es ihm erlaubte, bei schwerer See sicherer zu sitzen. »John ›Jawy‹ Cutter ist Abschaum, der über Leichen geht, oder besser: ging. Er raubte, plünderte, mordete; in seinem Kielwasser hinterließ er Bäche von Blut und Tränen. Er tötete Frauen und Kinder von harmlosen Kauffahrern, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er scheute sich nicht, ganze Sklavenladungen in Habana zu verkaufen oder, wenn das nicht möglich war, sie einfach ins Meer zu werfen. Und wenn seine Taten am grausamsten waren, ließ er sein Lied am lautesten ertönen.«
John Fox unterbrach sich, winkte den Schreiber herbei und wies ihn an, sein Glas noch einmal zu füllen. Ohne sich die Zeit zu nehmen, das Ergebnis von Tippertons Bemühungen abzuwarten, sprach er weiter: »Das alles unterscheidet Jawy von uns. Er war ein Pirat im übelsten Sinne, der den Ehrenkodex der Korsaren mit Füßen trat. Wir englischen Freibeuter jagen den Dons die Schätze ab, die sie sich unrechtmäßig angeeignet haben, und je mehr wir davon erwischen, desto besser. Dazu stehen wir. Aber niemals würden wir auf die Idee kommen, Frauen und unschuldige Kinder zu töten. Danke, Tipperton!« Der Erste nahm einen großen Schluck, stellte das Glas ab und setzte seine Rede fort:
»Nun, wir stießen vor zehn oder elf Tagen auf Jawy, gerade als er den Guineaman gekapert hatte. Natürlich griffen wir sofort an, aber die einsetzende Dunkelheit und der widrige Wind machten uns einen Strich durch die Rechnung. Er konnte sich aus dem Staub machen, zusammen mit dem Sklavenfahrer. Wir waren bitter enttäuscht, und selbst der Umstand, dass wir ihm ein paar mächtige Löcher in die Bordwand geschossen hatten, vermochte uns wenig zu trösten.«
»Ja, so war’s«, bestätigte Taggart. Seine Narbe zuckte.
John Fox nahm einen weiteren Schluck Wein. »Tja, und seitdem haben wir ihn gejagt, und ich bin froh, dass er heute zur Hölle gefahren ist, auch wenn das wenig christlich klingt.«
»Er war ein teuflischer Mensch«, pflichtete Vitus bei.
Hewitt, der bislang geschwiegen hatte, ergriff zum ersten Mal das Wort:
»Vielleicht war er sogar der Teufel selbst.« Scheu bekreuzigte er sich.
»Aber jetzt ist er tot, mausetot, und darauf trinken wir noch einen«, entschied Taggart.
Sie taten es, nachdem Tipperton sie erneut auf eine harte Geduldsprobe gestellt hatte. Doch sei es, dass der Tag zu anstrengend gewesen war, sei es, dass John Fox’ Schilderung sie zu nachdenklich gemacht hatte, in jedem Fall wollte die gelöste Stimmung sich nicht wieder einstellen.
Der Erste blickte düster: »Schade, dass ich
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